Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 19. 8. 1881
Adressat: Friedrich Haußmann ("Nac")


Paris, 19. Aug. 1881

Lieber Nac!

Die Arbeit ist mir, wie mirs gewöhnlich geht, unter den Händen gewachsen, so daß es mit den alten Titeln nichts mehr auf sich hat. Es gibt jetzt, statt 5, 8 Artikel: I. Legitimismus, II. Konstitutionalismus, III. Cäsarismus, IV. Borussismus. Verfassung. V. Borussismus. Gesetzgebung. VI. Liberalismus, VII. Charlatanismus, VIII. Föderalismus. Du siehst, ich habe dem ganzen Reichs- und Preußenthum einen gründlichen Prozeß gemacht. Eure Notizen habe ich zu IV. und V. vollständig verwerthet, natürlich mit einigen Übergängen, Verbindungen und stilistischen Änderungen.

Ich meine nun, man sollte sofort mit dem Abdruck vorgehen; denn einmal ist meine Arbeit mehr eine Vorbereitungs- als eine eigentliche Wahlschrift, sodann sollte man zu ihrer weiteren Verbreitung doch einige Zeit haben; auch weiß man nicht, wann Bismarck die Wahlbombe knallen läßt. Wenn Ihr also sogleich abdrucken wollt, so schreibe mir umgehend, dann schicke ich die fünf ersten Artikel, die druckfertig daliegen. Von den drei übrigen sind 1 1/2 auch schon abgefaßt, ich habe also nur noch 1 1/2 zu schreiben, und das wird geschehen, während die ersten gedruckt werden. Laßt den Text gleich ins Broschürenformat umbrechen während der Fortsetzung des Abdrucks, damit der Druck der Broschüren auch gleich vor sich gehen kann, und nehmt sogleich Eure Maßregeln zu einer Verbreitung nicht nur in Württemberg, sondern im ganzen Reich. Das ist die Hauptsache. Schreibe mir, was Ihr in dieser Beziehung zu thun gedenkt. Ich gönne dem Nic seine Landluft, bedaure aber doch, daß diese vermehrte Arbeit gerade in die Zeit seiner Abvvesenheit fällt.

Sobald ich die Wahlschrift vom Halse habe, werde ich mich nach Feuilletons umsehen; nur wird es im Augenblick einige Schwierigkeit haben, da die Feuilletonisten nicht in den Redaktionen und gegenwärtig über Land und Meer sind. Auch sind bei dem heutigen Naturalismus kleinere Erzählungen, die man dem züchtigen 'Beobachters'publikum vorsetzen kann, in Frankreich eine Rarität. Dazu kommt, daß ich nur ausnahmsweise einmal eine Erzählung lese, also für das, was nicht von bekannten Autoren herrührt, nicht auf dem Laufenden bin. Doch werde ich schon elnlges aufstöbern. Nur kann der 'Beobachter' auch nicht immer von den Franzosen leben. Englische Erzählungen gäbe es weit mehr, die sich für ihn eignen
würden, und ((Brückle)) sollte sich einmal in seiner Pseudoheimat etwas umsehen. Auch wäre vielleicht der Rath, den ich Euch in betreff Curti's und der ältern Belletristik gegeben habe, in Betracht zu nehmen. Es scheint mir, daß der 'Beobachter' doch auch von Zeit zu Zeit etwas Deutsches bringen sollte. - Schickt mir immerhin die Liste der bereits erschienenen Chatrian, es ist da für später immer noch etwas herauszuklauben. Auch schickt mir den Michel Bastian, wenn er vollendet ist, dann will ich mich auch nach dem deutschen Michel umsehen, der jetzt doch so ziemlich fertig sein muß.

Ist Bareiß noch in Stuttgart? In diesem Falle grüße ihn und
schreibe mir, ob seine Adresse in München noch die alte is~.
LAlles, was sich auf die Wahl und Abgeordneten Statistik be-
.zieht, werde ich morgen zurücksenden. Ich brauche es nicht. Anfänglich
wollte ich den concreten Theil auf die letzte Legislaturperiode
beschränken; aber da ich nun das Reich 'an sich' mit seinem
ganzen Plunder verarbeitet habe, lasse ich das, was sich auf
die letzten Wahl- und Parteiangelegenheiten bezog, weg
An Diefenbach werde ich selber ein paar Zeilen schreiben, es
ist nicht recht von ihm, daß er zurücktritt, und warum thun dies
denn Stockmayer und Leipheimer?- Nie schrieb mir doch, Mayer trete
als Kandidat auf. Wenn sie freilich draußen solche Tröpfe sind,
daß sie MayeDs Namen fürchten, so mögen sie in Teufels Namen irgend
einen adligen Hohlkopf wählen.
Gambetta hat in der letzten Zeit einen schlechten ((geraucht)) -
sehr undemokratisch; es bismärckelte stark bei ihm. Ich wollte
ein paarmal die Feder ansetzen, um einen Artikel über ihn betreffs
der Wahlen zu schreiben; aber erstens scheint mir der 'Beobachter'
etwas opportunistisch angesäuselt, und dann wollte ich auch den
Reaktionären draußen nicht die Freude machen; denn in ihren Augen
repräsentirt Gambetta doch mehr oder weniger die Republik; um
aber die \IJahrheit nicht zu sagen, mag ich nicht schreiben. Die
Belleviller haben ihn heimgeschickt; ich glaube aber, daß trotzdem
sein Anhang noch groß genug ist, um ihn durchzudrücken. Ich
mache auch diese Bemerkung, damit Ihr nicht aus Garnbettismus
'reinfallt 1
• Mir wär 1 s recht, wenn er n i c h t gewählt würde, zum
abschreckenden Beispiel für diese Autokraten von unten.
Nun grüße Deinen Papa und gib mir Antwort, auch in betreff
Bareiß.
Herzlich D.O.
LP.

 


Stadtarchiv Stuttgart
NL Haußmann Nr. 42/25
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


Erläuterungen:


© 2013 by Günther Emig. Alle Rechte dieser Edition vorbehalten! Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..