Ludwig Pfau (1821-1894)

Des Bettlers Lied.

1849.

Ihr reichen Herrn! ihr schönen Frauen!
Ihr geht in froher Sicherheit,
Euch trägt der Baum, euch blühn die Auen,
Mir grünt und reift nichts weit und breit.
Bei eurer Lust denkt unsrer Schmerzen,
Seht ihr mich matt am Wege stehn –
Ich hab' kein Feld als eure Herzen,
Auf dem ich könnte ernten gehn.

Euch wächst der Wald, ihr dürft ihn hauen.
Das Land ist euer und das Korn;
Euch rinnt der Fluß, ihr dürft ihn stauen,
Der Fisch ist euer und der Born.
Tönt auch in euer fröhlich Scherzen
Wie Grabgesang des Hungers Flehn –
Ich hab' kein Feld als eure Herzen,
Auf dem ich könnte ernten gehn.

Die Welt ist Gottes Speisehalle,
Die klein und groß zum Mahl vereint.
Die liebe Sonne scheint für alle,
Doch euer ist, was sie bescheint.
Euch segnen jene Himmelskerzen,
Die trostlos auf uns niedersehn –
Ich hab' kein Feld als eure Herzen,
Auf dem ich könnte ernten gehn.

Gott will des Feldes Liljen kleiden,
Er speist den Sperling in der Not,
Er nährt die Herden auf den Weiden –
Der Mensch nur stirbt den Hungertod.
Der Arme kauft mit schnöden Erzen
Von euch sein Leben als ein Lehn –
Ich hab' kein Feld als eure Herzen,
Auf dem ich könnte ernten gehn.

Wir müssen darben und entbehren,
Daß ihr könnt reich und glücklich sein:
Laßt in der Furch' uns etlich Ähren,
Im Becher einen Tropfen Wein.
Bei eurer Lust denkt unsrer Schmerzen,
Seht ihr mich matt am Wege stehn –
Ich hab' kein Feld als eure Herzen,
Auf dem ich könnte ernten gehn.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 318-319 .
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