Ludwig Pfau (1821-1894)

Der Leineweber.

1847.

Der bleiche Weber sitzt am Stuhl,
Er wirft mit matter Hand die Spul' –
Knick, knack! –
Er hebt den müden Fuß zum Treten –:
»Herr Gott! Jetzt kann ich nimmer beten –
Knick, knack! –
Du Linnentuch, du Linnentuch!
Ein jeder Faden sei ein Fluch!«

Es webt und webt sein morscher Leib,
Am Boden liegt sein sterbend Weib –
Knick, knack! –
Die Not sitzt bei ihr, sie zu pflegen,
Der Hunger gibt ihr noch den Segen –
Knick, knack! –
»Du Linnentuch, du Linnentuch!
Ein jeder Faden sei ein Fluch!

Der erste Fluch für unsern Herrn!
Hussa! Da springt mein Schifflein gern –
Knick, knack! –
Er darf am vollen Tische lungern,
Wenn wir am Webestuhl verhungern –
Knick, knack! –
Du Linnentuch, du Linnentuch!
Ein jeder Faden sei ein Fluch!

Und einer für den Pfaffen gleich,
Der uns verspricht das Himmelreich –
Knick, knack! –
Wir sollen sterben und verderben,
Das heißt die Seligkeit erwerben –
Knick, knack! –
Du Linnentuch, du Linnentuch!
Ein jeder Faden sei ein Fluch!

Der Faden hier sei dem verehrt,
Der Kugeln uns statt Brot beschert –
Knick, knack! –
Dem hohen Herrn von Gottes Gnaden:
O werd' ein Strick, du schwacher Faden! –
Knick, knack! –
Du Linnentuch, du Linnentuch!
Ein jeder Faden sei ein Fluch!

Die Lampe, wie sie plötzlich loht!
Gottlob, mein Weib, nun bist du tot –
Knick, knack! –
Das ist der Trost in unsrem Leben,
Daß wir das Bahrtuch selber weben –
Knick, knack!
O könnt' ich weben, Fluch um Fluch,
Der ganzen Welt ein Leichentuch!«


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 320-321 .
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