Ludwig Pfau (1821-1894)

Das blühende Grab.

Stunden zwei an einem Grabe,
Nach den Blumen hingewendet,
Sinnend, wer die holde Gabe
Dieser teuern Gruft gespendet.

Sprach der eine: »Glaube immer,
Daß die Blumen selbst entsprungen,
Daß der helle Blütenschimmer
Ist aus ihrem Grab gedrungen.

Denn als sie, die Wundervolle,
Ach! der düstre Schnitter mähte
Und sie in des Friedhofs Scholle,
In die große Furche, säte:

Mußte solche süße, klare
Schönheit selbst das Grab bezwingen
Und sich aus der dunkeln Bahre
An das Licht als Blüte schwingen.

Glaube, daß ihr zärtlich blauend
Auge, das so freundlich lachte –
Nach den lieben Freunden schauend,
Als Vergißmeinnicht erwachte.«

Sprach der andre: »Keine Hände
Haben ihr den Kranz geschlungen,
Diese holde Blumenspende
Ist aus ihrem Grab gedrungen.

Denn als sie, die Wunderreine,
Ach! der düstre Schnitter mähte
Und sie zwischen Leichensteine
In die tiefe Furche, säte:

Nutzte solche reiche Güte,
Als ihr Busen eingeschlossen,
Wohl als eine starke Blüte
Durch den Bahrendeckel sprossen.

Glaube, daß ihr liebeglühend
Herze, das die Welt umfangen –
Ist als Rose, purpurblühend,
Tausendblättrig aufgegangen.«


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 229-230.
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