Ludwig Pfau

Die Bretonischen Volkslieder.

Seit Herders Vorgang hat sich in Deutschland ein großes Interesse für die Volkspoesie aller Nationen gezeigt, und es ist daher zu verwundern daß die Volkslieder der Bretonen, die sowohl durch ihren poetischen Gehalt als ihre historische Bedeutung in erster Linie stehen, bis jetzt nicht in weitern Kreisen bekannt geworden sind.

Schon vor Jahren suchte der Verfasser dieser Zeilen die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums auf jene Lieder zu lenken; inzwischen hat er, in Gemeinschaft mit Moritz Hartmann, eine poetische Uebertragung derselben veröffentlicht. Nachfolgende kurze Besprechung mag dem Leser den bretonischen Liederschatz in Erinnerung bringen.

Die Bretagne hat, trotz ihrer Vereinigung mit Frankreich und ungeachtet aller Centralisation, an ihrer celtischen Sprache und Eigenthümlichkeit festgehalten, und manche ihrer alten Lieder, so wie die Gabe der Volksdichtung sind daselbst bis auf den heutigen Tag lebendig geblieben. Zwischen der celtischen Sprache des sechsten Jahrhunderts und der heutigen bretonischen ist der Unterschied nicht größer als zwischen der Sprache Rabelais' und Racine's.

Schon in den vorchristlichen Zeiten hatten die Celten ihre Barden, die unverletzlich waren und eine hohe politische und religiöse Stellung einnahmen. Sie unterstützten die Druiden beim Sonnendienste durch Gesang und Harfenspiel, waren auch selbst Druiden und Wahrsager. Im Kriege feuerten sie durch Schlachtgesänge und Siegesverheißungen den Muth der Ihrigen an. Nach Einführung des Christenthums verringerte sich zwar ihre Bedeutung; aber wenn ihnen ihre religiösen Verrichtungen von den christlichen Priestern streitig gemacht wurden, behielten sie nichts desto weniger ein hohes soziales Amt, wie aus den nachchristlichen bretonischen Gesetzen des Moelmud hervorgeht. Nach diesen Gesetzen ist die Pflicht der Barden, alle Kenntnisse der Natur zu erhalten und die Liebe zu Tugend und Weisheit zu verbreiten. Sie sollen über jede preiswürdige Handlung eines Einzelnen oder eines Stammes Register führen, so wie über alle Zeit- und Naturereignisse, über alle Kriege und Siege. Die Erziehung der Jugend ist ihnen anvertraut. Dafür haben sie besondere Freiheiten, sind dem Oberhaupt des Ackerbaus gleichgestellt, und werden als eine der drei Säulen der Gesellschaft betrachtet.

Später verlieren sie mehr und mehr ihre gesellschaftliche Stellung und werden nach und nach Schützlinge der Stammhäupter, an deren Tisch sie essen, in deren Palast sie wohnen und welche sie in den Krieg begleiten. Als sich im Mittelalter das Ritter- und Vasallenthum immer mehr ausbildet, werden sie die Familienpoeten des Adels, und jedes Schloß hat seinen Barden, wie es seinen Kastellan ect. hat. Nachdem die Zeit auch an diese letzte Zufluchtsstätte der Barden Hand gelegt hatte, erbte sich die Dichtung im Volke selbst fort, und Villemarqué, der eifrige Sammler der bretonischen Volkslieder hat aus dem Munde von Bäuerinnen Gedichte niedergeschrieben welche von diesen selbst verfaßt waren und zu den schönsten seiner Sammlung gehören. Eben so theilt er eine Improvisation, »Die alte Zeit,« mit, welcher er beiwohnte. Zwölf Wallfahrer, die bei einer Pilgerfahrt zu unserer lieben Frau von Porzou zusammentrafen, tanzten auf dem Rasenplatz vor der Kapelle nach dem Takte des Liedes, das sie improvisirten. Ein Müllermeister, der berühmteste Hochzeitsänger des Gebirgs, führte den Reigen des Liedes; zu Mitarbeitern hatte er seinen Müllerburschen, sieben Taglöhner und drei herumziehende Lumpensammler. Sie verfuhren auf folgende Weise: wenn der Müller den ersten Vers der zweizeiligen Strophe gefunden hatte, wiederholte er ihn mehrere male, worauf ihn seine Mitsänger gleichfalls mehrere male wiederholten, und ihm so Zeit ließen den zweiten Vers mit dem Schlagreim zu finden. Wenn eine Strophe vollendet war, begann er gewöhnlich die folgende mit den letzten Worten, oft mit dem letzten Verse der vorhergehenden, so daß die Strophen in einander übergriffen. Wenn dem Müller die Stimme oder die Inspiration ausging, setzte sein Nachbar zur Rechten das Lied fort, hierauf der dritte, der vierte, und so fort bis die Reihe wieder an den ersten kam.

Uebrigens wäre es ein Irrthum zu glauben, das eigentliche Volkslied datire erst vom Untergang des Bardengesangs; im Gegentheil, schon frühe ließ sich neben diesem die Volkspoesie vernehmen, und sie war schon zur Zeit Taliesins, eines Barden der im sechsten Jahrhundert lebte, so mächtig daß dieser für nöthig hielt sie zu bekämpfen. Eine heftige Satire von ihm gegen die Volkssänger ist noch erhalten; er wirft diesen vor daß sie schlechte poetische Gewohnheiten hätten und ihre Melodien ohne Kunst seyen; daß sie abgeschmackte Menschen in Helden verkehrten und die Mähren selbst schmiedeten; daß sie die Frauen und Jungfrauen verführten, anständige Leute verlästerten, die Kirche haßten, die Kneipen besuchten, und überhaupt ein nichtswürdiges, landfahrendes Leben führten. Die Vögel fliegen, die Bienen machen Honig, die Fische schwimmen und das Gewürm kriecht, sagt der Barde; nur die Poetenschüler, die Vagabunden und Bettler lassen sich jedes Geschäft verdrießen.

Daß diese Volkspoesie im Vergleich mit den Bardengesängen etwas ungefüg und roh gewesen seyn mag, läßt sich wohl denken; übrigens kann man in der heftigen Diatribe den Haß des Kastengeistes gegen das: »Singe, wem Gesang gegeben« des Volksdichters nicht verkennen. Kirchliche Verbote jener Zeit in Betreff der profanen Poesie zeigen wie sich das Volk auch der religiösen Dichtung bemächtigt hatte, und wie das Volkslied mit seinen alten heidnischen Traditionen gegen das Christenthum ankämpfte. Aus dem allem geht hervor daß schon im sechsten Jahrhundert in der Bretagne eine Volkspoesie bestand, die historische, häusliche und religiöse Lieder sang und sich also über alle Kreise des öffentlichen und Privatlebens verbreitet hatte. Als im Laufe der Zeit das Bardenthum immer mehr herunterkam, vermischte es sich mit der Volksdichtung, oder vielmehr die Volksdichtung blieb Meisterin, und die späteren Barden waren nichts anderes als die von Taliesin verlästerten angehenden Menstrels und Trouvères.

Was die gesammelten Lieder selber betrifft, so enthalten sie eine Anzahl mythisch-historischer Poesien; eine Reihe epischer Gesänge zum Ruhme des Nationalhelden Lez-Breiz; historische Gedichte, bald mehr dem Epos, bald mehr der Ballade sich nähernd; sodann Balladen mit mehr oder weniger verwischtem geschichtlichem Hintergrunde; Fest- und Liebeslieder, und einige religiöse Gedichte.

Die ältesten Ueberlieferungen stammen noch aus der Bardenzeit und enthalten Anklänge ans Druidenthum und den Kampf desselben mit dem Christenthum. Eine der ältesten, »Die Prophezeiung Gwennc'hlan's« soll nach den Traditionen des Volks von diesem Barden herstammen. Es ist dieß nicht unwahrscheinlich, obwohl das Gedicht spätere Ueberarbeitungen erlitten hat und in seiner jetzigen Gestalt einer Zeit angehört wo die Bardenpoesie in die Volkspoesie überging. Wenn man alles zusammenfaßt was an historischen Quellen über Gwennc'hlan aufzubringen ist, ergibt sich als Resultat ungefähr Folgendes: Kian, genannt Gewennc'hlan, was so viel bedeutet als reiner Stamm, ist um die Mitte des fünften Jahrhunderts in Armoricum geboren. Der Barde Taliesin, Sohn des Onis, welcher aus Britannien mit celtischen Auswanderern in die Bretagne herübergekommen war, kannte ihn noch und sagt von ihm, daß er viele Preislieder auf die Helden seines Vaterlandes gesungen. Der Geschichtschreiber Rennius im neunten Jahrhundert zählt ihn mit Taliesin, Aneurin und Liwarc'h-henn zu den größten Barden der Bretonen. Im fünfzehnten Jahrhundert kopirte man ein Manuscript, das älter war als Rennius, und das die Gesänge Gwennc'hlan's enthielt. Diese Kopie welche den Titel: Diouganon, Prophezeiungen, führte, befand sich vor der französischen Revolution noch in der Abtei Landerenec. Nach einigen soll sie von den Sanscülotten zerstört, nach andern aber gerettet, und Hoffnung zu ihrer Auffindung vorhanden sein. Lepelletier hat sie noch bei Abfassung seines Diktionärs der bretonischen Sprache zu Rathe gezogen und citirt.  » D i e  P r o p h e z e i u n g  G w e n n c ' h l a n ' s «  beginnt:

Die Meerflut steigt, der Tag verging,
Ich sitz' auf meiner Schwell' und sing'.

Als Knabe sang ich meine Weis',
Ich sing' und singe noch als Greis.

Ich sing' bei Nacht, ich sing' bei Tag,
Obwohl ich schweren Kummer trag'.

Und der erste Gesang schließt:

Was liegt am Wege den wir gehn,
Das was geschehn soll, wird geschehn.

Dreifacher Tod ist festgesetzt,
Dann findet alles Ruh' zuletzt.

Gwennc'hlan ist Fatalist und glaubt an die Seelenwanderung; die letzte Strophe bezieht sich auf die drei Existenzkreise der Druidischen Theologie. Der »schwere Kummer«, der ihn drückt, ist die Blindheit; er war vom feindlichen Feldherrn gefangen und geblendet worden. Im letzten Gesange des Gedichts prophezeiht er denn auch dem fremden christlichen Fürsten ein schreckliches Ende:

Als ich in meinem kalten Grabe schlief,
Hört' ich wie durch die Nacht der Adler rief.

Er rief die jungen Adler in das Feld,
Und alle Vögel unterm Himmelszelt.

Und als er sie gerufen, sprach der Aaar:
»Erhebt euch schnell auf euer Schwingenpaar.

»Nicht Fleisch von Hund und Lämmern, faul und todt,
Nein! Christenleiber thun uns heute noth!«

Sag' an, du alter Rabe von dem Meer!
Was trägst du da in deinen Krallen her?

»Das Haupt des fremden Herzogs trag ich hier,
Nach seinen rochen Augen lüstet mir.

»Ihm reiß' ich beide Augen aus dem Haupt,
Der  d i r  die Augen und das Licht geraubt.«

Nun kommt der Fuchs und trägt das Herz des christlichen Fürsten vom Schlachtfeld, und die Kröte lauert am Winkel seines Mundes, »am Weg der Seele,« welche in das Ungethüm »endlose Zeit« gebannt bleibt, bis sie das Leid abgebüßt hat das sie dem Barden zugefügt. In andern Ueberlieferungen lechzt Gwennc'hlan vor allem nach dem Blute der christlichen Priester, der räuberischen Mönche, die sich der Bardenharfe bemächtigen und die jungen Edeln entführen. Mit ingrimmiger Freunde weissagt er, daß eines Tages die Männer Christi wie wilde Thiere gejagt werden, daß man sie in Haufen abschlachten, daß ihr Blut, in Strömen fließend, ein Mühlrad treiben und daß dieses nur desto schöner sich drehen werde. Die Gesänge der waleser Barden, der Zeitgenossen Gwennc'hlan's, tragen denselben Stempel, doch sind sie weniger heidnisch. Bei ihnen mischt sich schon Christenthum und Druidenthum. Sie hassen weniger die Kirche als die Priester fremder Race, die sie römische Wölfe mit gekrümmten Krallen, Diebe, Fresser und Bösewichter nennen und mit Flüchen überhäufen.

Gleichfalls ein Ueberbleibsel der alten Bardenpoesie, vielleicht ein Fragment einer Kriegshymne an die Sonne welche in der ersten Strophe angerufen wird, ist  » D e r  S c h w e r t t a n z « :

Blut und Wein und Tanz
   Dir, Sonnenglanz!
Blut und Wein und Tanz.

Tanz und Kriegsgesang
  Und Schlachtgedrang;
Tanz und Kriegsgesang.

Sang und Schwertertanz
  Im Kreis, im Kranz;
Sang und Schwertertanz.

Lied vom blauen Schwert,
  Das Mord begehrt;
Lied vom blauen Schwert.

Schwert im Schlachtgefild,
  Du König wild!
Schwert im Schlachtgefild.

Schwert, o König groß,
  Im Kampfgetos!
Schwert, o König groß!

Regenbogenstrahl
   Schmück' dich, o Stahl!
Regenbogenstrahl.

O Feuer! o Feuer! o Stahl! o Stahl! o Feuer und Schwert!
O Eich'! o Eich'! o Flut! o Flut! o Eich' und Erd'!

Sowohl Sprache als Form zeugen für hohes Alter. Das Gedicht ist nämlich im celtischen Urtext von Anfang bis zu Ende regelmäßig alliterirt, was nur bei den frühesten Bardengedichten vorkommt. Ueberdieß ist der Anfangsbuchstabe ein K; dieser Buchstabe wird im alten celtischen Alphabet durch einen Haselnußzweig bezeichnet welcher den Bretonen und Galliern zugleich als Symbol der Niederlage durchs Schwert galt. Daß diese Symbolik nicht etwa zufällig ist, läßt sich daraus schließen daß ein anderes Gedicht, ein Weinlied, welches mit dem Schwertliede zusammen gesungen wird, mit einem G alliterirt ist; das G hat einen Epheuzweig zum Zeichen der als bacchisches Symbol bekannt ist.

Auch der Name Merlin's spielt eine Rolle im bretonischen Volkslied, »Merlin Wunderthäter« und »Merlin der Barde« sind gleichfalls poetische Denkmale des Kampfes den Christenthum und Druidenthum miteinander führten. Den Namen Merlin haben zwei Barden getragen. Der eine stammte nach den Angaben der waleser Dichter, die vor dem zehnten Jahrhundert gelebt, von einer Vestalin und (nach Nennius und Gildas) von einem römischen Konsul. Er lebte im fünften Jahrhundert unter der Regierung Emreis-Aurel's und galt für den ersten Zauberer und Wunderthäter seiner Zeit. Der andere sagt uns selbst daß er das Unglück hatte, in der Schlacht von Arderiz, wo er das goldene Halsband, das Zeichen der cambrischen Häuptlinge, trug, seinen eigenen Schwestersohn unfreiwillig zu tödten; daß er darüber von Sinnen kam und sich aus der Welt in den Wald von Kelidon zurückzog (gegen 577). Das ist der unter dem Namen »der Wilde« bekannte Merlin. Im Volksliede sind wohl die Gestalten beider in eine einzige zusammengeschmolzen, obwohl sich das eine Gedicht mehr auf den Wunderthäter, das andere mehr auf den Barden zu beziehen scheint.

Das ganze Mittelalter – Racenkampf, Kreuzzug, Ascese, Priesterthum, Frauenliebe, Wunder- und Mordthaten – spiegelt sich natürlich in den historischen Liedern; das begeisternde Moment aber bleibt immer der nationale Kampf. Die älteren Gedichte athmen jenen Patriotismus, jene Kriegslust und Todesverachtung, wie sie solchen ursprünglichen Völkern eigen sind für welche ihr Land die Welt, ihr Stamm die Menschheit, alles andere aber der gemeinsame Feind ist. Aber auch in den spätern Kriegsliedern ist noch genug von jener alten Kampfwuth übrig. Als Feinde erscheinen die Bewohner des heutigen Englands und Frankreichs, erstere unter dem Namen Sachsen, letztere unter dem Namen Gallier und später Franken. Zu Bekämpfung der Sachsen schicken sie ihren Stammgenossen auf der »großen Insel« öfters Hülfstruppen; ihre Hauptkämpfe jedoch bestehen in Vertheidigung ihrer Unabhängigkeit gegen die französischen Könige.

Zuerst erscheint König Arthur, eine halb mythische halb historische Figur, der in Vertheidigung seines Vaterlands gefallen, aber nicht gestorben ist, sondern vor Ausbruch eines Kriegs, als Vorbote, mit seiner Schaar auf dem Gipfel der schwarzen Berge einherzieht, wie dieß  » A r t h u r ' s  M a r s c h «  darstellt:

Vorwärts! Vorwärts! vorwärts zum Streit!
Komm', Bruder! komm', Vater! komm', Sohn! seyd bereit!
Kommt, all ihr Männer voll Herzhaftigkeit!

Des Kriegers Sohn ist am Morgen erwacht,
Er sprach zu seinem Vater: »Hab' Acht! –
Reiter auf der hohen Wacht!

»Sie reiten über's Gebirge leis,
Sie reiten auf Pferden grau und weiß,
Der Odem der Pferde gefriert zu Eis.

»Geschlossene Reihen zu drei und zu drei'n,
Zu sechs und sechs geschlossene Reih'n,
Und tausend Lanzen im Sonnenschein.

»Schau'! wie die Schlange sich windet und biegt
Hinter dem Banner das wallt und fliegt!
Es wallt, vom Winde des Todes gewiegt.

»Ueber die Berge schlägt sie den Reif,
Neun Speerwurflängen mißt ihr Streif
Von dem Kopfe bis an den Schweif.

»Ich weiß es, das ist Arthur's Heer,
Er zieht an der Spitze mit durstigem Speer,
Er zieht auf dem Gipfel der Berge daher.«

»Wenn's Arthur, wenn's Arthur ist, mein Kind,
Den Bogen schnell und die Pfeile geschwind!
Das Eisen soll sausen – und fort wie der Wind!«

Und eh' sein letztes Wort verklang,
Erhub sich dröhnender Schlachtgesang
Und hallte die Berge und Berge entlang:

»Herz um Auge und Kopf um Hand!
Auf hohem Berg und in tiefem Land!
Flammen um Hitze und Schwert um Gewand!

»Hengst um Stute und Stier um Rind!
Vater um Mutter und Mann um Kind!
Blut um Thränen und Herr um Gesind!

»Und drei für Einen! so sey's gethan!
Auf hohem Berg und auf tiefem Plan,
Bis ein Blutstrom rollt das Thal heran.

»Und wenn wir fallen in Kampfeswuth,
So taufen wir uns mit eignem Blut,
Und sterben, im Herzen frohgemuth.

»Und wenn wir sterben, blutigroth,
Wir sterben nach altem Bretonengebot;
So kommt uns nie zu früh der Tod.«

Der Name Arthur's hat eine große Popularität in der Bretagne; ursprünglich ist es der Name einer kriegerischen Gottheit, deren übermenschliche Eigenschaften später auf den Arthur der Geschichte und Sage übergegangen sind. So wurde er zum bewaffneten Symbol der nationalen Freiheit, und vom sechsten Jahrhundert bis auf den heutigen Tag wurden bei jedem Kampfe die alten Lieder Arthur's den Umständen angepaßt und als Kriegshymnen gesungen. Die letzte der obigen Strophen, die moderner ist als der übrige sehr alte Text, hat wahrscheinlich zur Erhaltung desselben beigetragen. Auch die Melodie von außerordentlich kriegerischer Energie hat einen ganz eigenthümlich antiken Charakter.

Der eigentliche Nationalheld der Bretagne, Morvan, genannt »Lez-Breiz«, zu deutsch: die Hüfte der Bretagne, wird in einer Reihe epischer Gesänge gefeiert. Auch er unterliegt zuletzt gegen Kaiser Ludwig den Frommen, schläft aber, wie Barbarossa, in einer unterirdischen Gruft und wird mit lautem Schlachtruf erwachen. »Neumenoiu«, der Armin der Bretonen, zahlt Karl dem Kahlen den Tribut der Bretagne in Kieselsteinen und schlägt bei dieser Gelegenheit dem Beamten, der die Säcke wiegt und der vorher einen Bretonen umgebracht hatte, den Kopf ab daß dieser in die Wagschale rollt.

Ein Epigone Morvan's und Neumenoiu's, welchen er an Heldenmuth nicht nachsteht,  » A l a n  d e r  F u c h s « ,  auch der Bärtige genannt, wird gleichfalls gepriesen:

Bärtig ist Alan, der Fuchs, er kläfft   und kläfft und kläfft im Holze:
»Weh den fremden Hasen!«   Seine Augen sind geschärfte Bolze.

Scharf sind seine Zähne, seine   Füße schnell, als ob er fliege!
Roth von Blut sind seine Klauen,   und er kläfft: »Zum Krieg', zum Kriege!«

Wetzen sah' ich die Bretonen   ihre Waffen, ihre wilden,
Nicht auf Steinen der Bretagne,   aber auf den Frankenschilden.

Ernten sah ich die Bretonen   auf dem Schlachtgefild der Franken,
Aber nicht mit schart'gen Sicheln –   mit den Schwertern, mit den blanken.

Nicht das Korn und nicht den Waizen,   wie sie auf den Feldern wachsen,
Nein! die Aehren ohne Bart vom   Land der Franken und der Sachsen.

Dreschen sah ich die Bretonen,   aber nicht mit holz'nen Flegeln –
Dreschen mit den Hufen ihrer   Pferde und mit ehr'nen Schlegeln.

Einen Freudenschrei vernahm ich,   wie er tönt aus Siegers Munde,
Hallend von dem Berg Sankt Mikel   fort bis zum Elorner Grunde.

Von dem Kloster zu Sankt Weltas   hallend bis an's End der Erden;
Allerwärts in der Bretagne   soll der Fuchs gepriesen werden!

Tausend-tausendmal gepriesen   sei der Fuchs von Tag zu Tagen!
Nie soll man dieß Lied vergessen,   aber um den Sänger klagen.

Der dieß Lied zum erstenmale   sang, hat niemals mehr gesungen;
Ihm die Zunge abzuschneiden,   weh! den Franken ist's gelungen.

Aber fehlt die Zunge, blieb ihm   noch das Herz, und mit den Händen
Weiß er immer noch des Liedes   Pfeile klingend zu versenden.

Alan, der Fuchs, ein kühner Jäger, kehrte eines Tags seine Wuth, statt gegen Wölfe und Bären, gegen die Unterdrücker seines Landes. Doch hatte er es nicht mehr mit den Franken, die unter den erschlaffenden Karolingern ungefährlich waren, sondern mit der frischen Kraft der Normannen zu thun, welche die Halbinsel von allen Seiten angriffen, die Bewohner plünderten, die Städte verheerten und ganze Länderstrecken in Besitz nahmen. Er sammelte die in Wäldern und Bergen versteckten Bretonen um die Nationalfahne, überfiel den Feind bei Dol, mitten in einem Gelage, und machte alles nieder. Von Dol rückte er nach St. Brieuc vor wo er einer zweiten Schaar der Feinde gleiches Schicksal bereitete. Nach diesen Waffenthaten flohen die Normannen aus der Bretagne und Alan der Fuchs wurde von den Bretonen als Oberhaupt anerkannt. Er starb als solches im Jahr 952. Das Volkslied, das nichts von Normannen weiß, macht keinen Unterschied in Benennung der Feinde. »Aehren ohne Bart« oder Glattköpfe hießen diejenigen welche gegen die Nationalsitte ihre Haare kurz schnitten. Das Gedicht bezeichnet mit diesem Namen die fremden Krieger im Gegensatz zu den bretonischen, welche letztere im neunten Jahrhundert wie noch jetzt ihre Haare lang trugen, während im Gegentheil die Normannen Haar und Bart rasirten. Wilhelm der Eroberer machte den besiegten Angelsachsen aus diesem Gebrauche ein Gesetz. Der Schluß des Liedes zeugt wieder von der Grausamkeit welche der Feind sich nicht selten gegen die gefangenen Barden zu Schulden kommen ließ.

Auch dieses Gedicht, wie die vorgenannten, ist noch ein Ueberbleibsel oder wenigstens eine Reminiscenz alter celtischer Bardenpoesie. Abgesehen von den vielen in Form und Ausdruck ähnlichen Gedichten welche man bei den Celten von Wales findet, die in poetischer Gemeinschaft mit den Celten der Bretagne lebten, zeigt schon der Gang der mitgetheilten Gedichte, die dreieinige Strophe von Arthur's Marsch, überhaupt das Knappe der Form, das Präcise des Ausdrucks, das stete Fortschreiten ohne Wiederholungen, daß hier ein künstlerisches Bewußtseyn mitgearbeitet hat, wie es den Volksliedern anderer Nationen nicht eigen zu sein pflegt, welche diese Vorzüge nur hie und da im Liebeslied erreichen wo die lyrische Begeisterung gewissermaßen die bewußte Kunst ersetzt.

Auch ein  B a u e r n a u f s t a n d ,  1008, gegen adlige Tyrannei wird besungen: »Auf dem Gipfel der schwarzen Berge bei Nacht, da hielten die Bauern Johanniswacht«. Sie klagten sich ihre Noth und machten sich auf den Weg, jeder mit einem Scheit, um die Herrenburg niederzubrennen. »Sie gingen von Berg zu Bergen fort,   von einem zum andern Feuerort«, Kadō der Anführer voran, und:

An seiner Seit' im ersten Glied,
Da ging sein Weib und sang ein Lied;
Im Gehen sang sie: »Wohlauf! Wohlan!«
Den Feuerhacken trug sie voran.

»Nicht daß sie betteln durch Stadt und Feld,
Bracht' ich meine dreißig Buben zur Welt:
Nicht daß sie tragen des Lastthiers Loos,
Hab' ich sie getragen in meinem Schoos.

»Nicht daß sie hüten Hund und Roß,
Und Vögel füttern im Herrenschloß –
Daß den Dränger sie tödten muthiglich,
Hab' ich meine Söhne geboren, ich!«

Das Gedicht schließt:

Und als sie kamen nach Keraran,
Sie kamen zu dreißigtausend an.
Da rief Kado, der Schlachtgesell:
»Wohlauf und Muth! wir sind zur Stell'!«

Kaum hörte er zu sprechen auf,
So kamen dreihundert Wagen zu Hauf,
So war das Holz gethürmt ums Schloß,
Daß närrisches Feuer drüber schoß.

Die Flamme sprühte so wild und stolz,
Daß das Eisen der Feuergabeln schmolz,
Daß die Knochen krachten im Geröll,
Wie die der Verdammten in der Höll'.

Daß die Schergen heulten wuthentbrannt,
Wie Wölf' in eine Grube gerannt.
Und, als erschien der helle Tag,
Daß alles in Staub und Asche lag.

So begleitet das Volkslied die Kämpfe der Bretonen bis zur französischen Revolution, wo die Chuans in ihrer celtischen Starrheit den französischen König ebenso wüthend vertheidigen als ihre Vorfahren die seinigen bekriegt hatten.

Von den vielen schönen Balladen mag  » D e r  H o c h z e i t g ü r t e l «  als Probe hier stehen:

I.

»Seit gestern Bräutigam,   und heute ruft mich schon
Hinweg zum Heeresbann   der Bote vom Baron,
Und morgen muß ich fort   mit Riek und seinem Heer
Zu der Bretonenschlacht   weit über das große Meer.

Komm', Knappe! komm' geschwind   wohl über die grüne Haid',
Ich muß zu meinem Lieb   noch heute, eh' ich scheid';
Ich muß zu meinem Lieb   und sagen ihr Ade,
Sonst springt mein Herz entzwei   in meiner Brust vor Weh.«

Je näher daß er kam,   je lauter schlug sein Herz,
Und als er trat in's Haus,   er zitterte vor Schmerz.
»Kommt näher, lieber Herr!   setzt euch auf diese Bank
An's Feuer her, ich will   euch holen Speis' und Trank.«

»Dank, alte Base, Dank!   ich mag nicht Brod noch Wein,
Und sprechen will ich nur   mit eurem Töchterlein.«
Als das die Alte hört',   da zog sie aus die Schuh
Und schlich in Strümpfen leis   dem Bett der Tochter zu.

Dann stieg sie auf die Bank   am Bett, und über den Rand
Beugt' sie das Antlitz vor   und nahm sie bei der Hand:
»Wach' auf, Loida, wach' auf!   Steh' auf, steh' auf geschwind!
Dein Liebster harret dein,   komm', sprich mit ihm, mein Kind!«

Bei diesen Worten schnell   die Maid vom Lager sprang,
Daß um den weißen Hals   das schwarze Haar sich schwang.
»Um Gott! mein süßes Lieb,   ich muß wohl über die See,
Ich muß dich lassen nun,   und muß dir sagen Ade!

»Muß mit dem Heere das   die Engelländer schlägt;
Gott weiß, wie schwer mein Herz   an seinem Kummer trägt.«
»Um's Himmels willen bleib'!   ich laß' dich nimmermehr!
Der Wind ist änderlich,   mein Lieb, und falsch das Meer.

»Ach! wenn dich Leid betraf',   was würde dann aus mir?
Mein Herz zerspränge schon   aus Ungeduld nach dir.
Ich ging von Haus zu Haus   entlang den Meeresstrand:
Ihr Schiffer! hat mein Lieb   mir keinen Gruß gesandt?«

Es weint' die junge Maid.   Er sprach: »O tröste dich,
Sei still, Loida, sei still!   und weine nicht um mich.
Einen Gürtel bring' ich dir,   zur Hochzeit bring' ich ihn,
Einen Gürtel purpurroth,   der funkelt von Rubin.«

Der Ritter saß am Herd,   die Maid auf seinen Knie'n,
Das Antlitz vorgebeugt,   hielt sie umschlungen ihn,
Mit Armen um den Hals,   und weint' und weinte still
Bis an den Morgen der   vom Lieb sie trennen will.

Und als der Morgen kam,   der Ritter zu ihr sprach:
»Schon hat der Hahn gekräht,   bald kommt die Sonne nach.«
»Unmöglich, süßes Lieb!   du hast es nur gemeint,
Das ist das Mondenlicht,   was über die Berge scheint.«

»Nein, liebe Maid, o nein!   das ist der Sonnenschein,
Was durch die Spalten bricht,   es muß geschieden sein.«
Er ging; auf seinem Weg   die Elstern riefen: »Bleib'!
Das Meer, das Meer ist falsch,   doch falscher noch das Weib.«

II.

Im Herbst am Tag Johann,   da sprach die junge Maid:
»Ich sah im fernen Meer,   ich sah zu meinem Leid
Vom Gipfel des Gebirgs   ein Kriegsschiff in Gefahr,
Und aufrecht auf dem Deck   den dessen Lieb ich war.

»Er hielt ein scharfes Schwert   und stand in Kampfeswuth,
Die Todten lagen rings,   sein Hemd war roth von Blut.
O weh! mein armer Freund!   todt! todt!« So rief sie laut,
Und um die Weihnachtszeit,   da war sie wieder Braut.

Indessen kam in's Land   die Mähr' von Sieg und Glück:
Der Krieg, der Krieg ist aus,   der Ritter ist zurück.
Der Ritter ist zurück,   und frohgemuth sein Herz,
Er kommt heut' Nacht zum Lieb,   das er verließ in Schmerz.

Sobald er näher kam,   vernahm er Spiel und Tanz,
Und sah das Haus erhellt   von reichem Lichterglanz:
»Ihr lustigen Bettelleut',   die ihr das Land durchzieht,
Sagt, was ist dort im Haus?   was hör' ich für ein Lied?«

»Das sind die Spielleut', Herr!   sie spielen zu zwei und zwei,
Die Hochzeitsuppe, seht,   kommt eben an's Thor herbei.
Das sind die Spielleut', Herr!   sie spielen zu drei'n und drei'n,
Die Hochzeitsuppe, seht,   geht eben zum Haus hinein.«

III.

Als alle Bettelleut'   zu Tische sich gesezt,
Die man zur Hochzeit lud,   kam Einer noch zulezt.
»Find' ich wohl Labung hier   und eine Lagerstatt?
Ich bin ein armer Mann,   der keine Herberg hat.«

»Wohl! guter, armer Mann,   ihr sollt geherbergt sein
Und setzen euch zu Tisch   und nehmen Speis' und Wein.
Kommt zu den andern all,   sie sitzen schon zuhauf,
Ich und mein Ehgemahl,   wir warten euch selber auf.«

Und bei dem ersten Tanz   frug ihn die Braut so hold:
»Was fehlt euch, armer Mann,   dass ihr nicht tanzen wollt?«
»Nichts, werthe Dame, nichts;   ich schau dem Tanze zu,
Weil ich noch müde bin   vom Weg und gerne ruh'.«

Und bei dem zweiten Tanz   die Braut frug abermal:
»Seyd ihr noch immer müd   daß ihr nicht tanzt im Saal?«
»Ja, werthe Frau, ich bin   noch immer müd so sehr,
Denn auf dem Herzen trag'   ich eine Last gar schwer.«

Und bei dem dritten Tanz   lud sie ihn freundlich ein
Und sprach mit Lächeln: »Kommt!   ihr sollt mein Tänzer sein.«
»Die Ehr' ist allzugroß,   doch nehm' ich dankbar an
Was, ob er's nicht verdien',   kein Mensch verweigern kann.«

Und als er mit ihr tanzt,   er neigt sich zu ihr vor,
Mit bleichem Lächeln sagt   er flüsternd ihr in's Ohr:
»Wo ist der Ring von Gold   den ich euch gab einmal,
Ein Jahr ist's, Tag für Tag,   in diesem selben Saal?«

Sie faltete die Händ':   »O Gott! Du weißt's allein,
Ich lebte sorgenlos,   ich dachte frei zu sein:
Nun hab' ich zwei Gemahl   seit seiner Wiederkehr!«
»Du dachtest schlimm, mein Kind,   und hast nun keinen mehr!«

Da zog er einen Dolch,   versteckt in seinem Kleid,
Und stieß ihn mit Gewalt   in's Herz der armen Maid,
Daß sie darnieder sank   auf ihre beiden Knie.
»O Gott!« rief sie, »o Gott!«   Ihr Antlitz neigte sie.

IV.

Im Kloster zu Daulaz   ist ein Marienbild,
Das einen Gürtel trägt   draus rothes Feuer quillt.
Wer über's Meer gebracht   den Gürtel von Rubin?
Der Mönch der vor dem Bild   liegt büßend ans den Knien.

Owen Glendowr, ein adliger Celte von Wales und Abkömmling der alten cambrischen Bretonenhäuptlinge, begehrte die Hülfe Frankreichs um sein Vaterland vom englischen Joche zu befreien. Die Celten in Frankreich unterstützten dieses Begehren, und so segelte eine ziemlich große Flotte von Brest ab unter dem Oberbefehl des Johann von Rieuk, oder Rieux wie ihn die Franzosen nennen, Marschalls der Bretagne. Die Bretonen vereinigten sich mit ihren Stammgenossen bei Kerwarzin (1405) und trugen mit denselben verschiedene Erfolge über die Engländer davon, wodurch diese zum Rückzug genöthigt wurden. In die Bretagne zurückgekehrt, rühmten sie sich einen Feldzug unternommen zu haben, wie ihn seit Menschengedenken kein König von Frankreich gewagt habe. An dieser Expedition nahm der Ritter Theil dessen Herzensgeschichte uns die vorstehende Ballade erzählt. Die Darstellung der Ereignisse hat jene einfache Wahrheit, jene sinnliche Wirklichkeit, in welchen es seit Homers Zeiten die Volksdichtung gewöhnlich der Kunstpoesie zuvorthut. Der Dichter sieht alles was vor sich geht, und malt es so daß es der Hörer wieder sieht. Die Base, die auf die Bettbank steigt und sich über die Tochter neigt; Loida, die den Ritter umschingt und auf seinem Schooße den Morgen heranweint; die Sonne, die durch die Spalten bricht; der Ritter, der sich beim Tanze mit »bleichem Lächeln« verbeugt ect., sind solche schildernde Züge die vor die Phantasie des Hörers gleich fertige Bilder zaubern. Fein und sinnreich ist namentlich der Schluß. Das Madonnenbild, das den Rubingürtel trägt der ursprünglich für die Geliebte bestimmt war, zeichnet mit einem Strich Verlauf und Ende der Begebenheit: die Reue des Ritters und seine Buße fern von der Welt. Das sind Züge, wie sie nur vom Erlebniß, aber nicht von der Erfindung geliefert werden.

Das zähe Festhalten der Bretonen an den alten Gewohnheiten, erhellt auch aus ihren Hochzeitgebräuchen die im neunzehnten Jahrhundert noch gerade so vor sich gehen wie sie diese Ballade aus dem Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts beschreibt. Am Hochzeittage um Mitternacht wird die Braut entkleidet und neben den Bräutigam ins Bett gelegt, worauf man ihnen eine Milchsuppe nebst Nüssen und Kuchen bringt. Während dieser Ceremonie spielen die Spielleute die Milchsuppenmelodie, wozu die jungen Bursche und Mädchen ein Lied singen. Der Tag nach der Hochzeit ist der Tag der Armen; sie kommen zu hunderten, und Hof und Tenne sind voll. Sie haben nicht ihre schönsten Kleider sondern ihre reinlichsten Lumpen an, und verzehren den Rest des Festmahls vom vorigen Tag. Die junge Frau wartet den Weibern, der Ehemann den Männern auf. Nach der zweiten Tracht bietet der junge Mann seinen Arm der anständigsten Bettlerin, die Frau den ihrigen dem achtbarsten Bettler, um mit ihnen zu tanzen. Der Gesang fehlt auch bei dieser Gelegenheit nicht.

Die Fest- und Liebeslieder sind voll eigenthümlicher, auf die Sitten des Landes sich beziehender Züge, und haben bei großer Zartheit des Gefühls viel Neigung zum Humor. Die Bretagne hat, für alle Gelegenheiten des Lebens, eine Menge von Festen welche bis heute den alten Traditionen gemäß abgehalten werden die häufig noch aus der Druidenzeit stammen. Einen Theil der Hochzeitgebräuche haben wir schon kennen gelernt. Ein anderes Fest, das auch sein Lied hat, ist das der neuen Tenne: wenn in der Scheune ein frischer Boden zum Dreschen gestampft wird. Das Junifest ist das Fest der jungen Leute, und das Schäferfest das der Kinder. Die Krone all dieser Feste ist immer Sang und Tanz.

Reizend ist das  » L i e d  d e s  J u n i f e s t e s « :

Wieder ist die Zeit gekommen   mit dem Juni in das Land,
Wo die Knaben und die Mädchen   allwärts wandeln Hand in Hand.

Alle Blumen haben heute   sich geöffnet in dem Feld,
Wie die Herzen aller Jugend   in der ganzen weiten Welt.

Sieh, die Weißdornbüsche blühen   und verstreuen süßen Duft,
Und die kleinen Vögel paaren   schwirrend sich in freier Luft.

Komm, du schönes Lieb! wir wollen   zu dem grünen Walde gehn,
Daß wir hören durch die schwanken   Blätter leis die Winde wehn.

Daß wir hören durch die kleinen   Kiesel murmelnd gehn den Quell,
Und die Vögel auf der Bäume   Wipfel singen froh und hell.

Jedes singt sein Liedchen, jedes    singt nach eigner Melodie;
Sie erquicken unsre Herzen,   unsern Sinn erfreuen sie.

Beim Schäferfest werden die Kinder von ihren Eltern auf die größte der Haiden geführt, auf welchen die kleinen Schäfer gewöhnlich das Vieh hüten, und eine mitgenommene Mahlzeit wird unter freiem Himmel verzehrt. Nach Beendigung derselben singen einige alte Schäfer ein moralisches Gedicht, welches »die Lehre der Kinder« heißt. Hierauf tanzen die jungen Leute bis Abend und singen auf dem Heimweg den  » S c h ä f e r r u f « :

Wenn ich aufsteh' Morgens frühe,   mit den Küh'n zur Weide zieh',
Hör' ich meine Süße singen,   an der Stimme kenn' ich sie;
Hör' ich singen meine Süße   auf dem Berg im Morgenschein,
Und ich mache schnell ein Liedchen,   und ich stimme bald mit ein.

Als ich sie zum erstenmale   sah, mein Gretchen hold und frisch,
Ging sie grad zum erstenmale   in die Kirch zu Gottes Tisch.
Mit den Kindern von Fuesnant   in die Kirch' begab sie sich;
Damals zählte sie zwölf Jahre,   und zwölf Jahre zählte ich.

Unter Allen stand sie strahlend,   wie die gelbe Ginsterblüth,
Oder wie die wilde Rose   aus den Haidebüschen glüht.
Fort und fort, so lang die Messe   währte, mußt' ich schau'n nach ihr,
Und je mehr ich nach ihr schaute,   desto mehr gefiel sie mir.

In dem Garten meiner Mutter   steht ein Baum von Aepfeln schwer
Ihm zu Fuß ein grüner Rasen,   und Gebüsche rings umher.
Wenn sie zu mir kommt, die Süße,   die mein Herz liebt inniglich,
Werden wir uns in des Baumes   Schatten setzen, sie und ich!

Unter allen Aepfeln such' ich   meinem Lieb den röthsten aus;
Eine Blume, die ich liebe,   bind' ich ihr in einen Strauß,
Eine welke Ringelblume,   weil mein Herze trauern muß,
Denn sie gab mir niemals einen   liebevollen, ernsten Kuß.

»Schweiget, Freund, und singt nicht länger!   schweigt und singt ein andermal!
Leute kommen aus der Messe   und sie horchen auf im Thal.
Wenn wir wieder auf der Haide   einsam sind, kein Mensch dabei,
Geb' ich einen rechten süßen   Kuß euch – einen oder zwei.«

Die schmerzliche ruhelose Sehnsucht der Liebe hat kein Dichter anmuthiger ausgedrückt als  » D e r  a r m e  S c h ü l e r «  des bretonischen Volkslieds, wenn er sagt:

Ich liebe Dich, Süße, und finde nicht Rast,
Der Nachtigall gleich auf dem Hagedornast:
Sie schlummert, da sticht sie der Dorn – sie erwacht;
Da steigt sie zum Wipfel und singt durch die Nacht. ect.

Voll naiver Innigkeit ist  » D e r  A u s s ä t z i g e «  in seiner Liebesklage:

Das Herz das du mir hast gegeben,
Ich hab's gehütet wie mein Leben,
Ich hab's mit treuem Sinn gepflegt.
Und nicht verloren noch verlegt.

Das Herz das du mir gabst mit Weinen,
Ich hab's vermischt nun mit dem meinen,
Und weiß nicht mehr zu dieser Frist,
Was meines und was deines ist. ect.

Eine sinnige Art von Liebesgeständniß enthalten  » D i e  S c h w a l b e n « :

Es ist wo ein Weg, und der Weg, der ist klein,
Er führet vom Schlosse zum Dorfe hinein.

Ein Weg, der sich schlingt wie ein silbernes Band,
Viel buschige Hagedorn' stehen am Rand.

Der Hagedorn schaukelt, von Blüthen so schwer;
Des Schloßherrn sein Sohn, und der liebt sie gar sehr.

O dürft' ich ein weißes Dornröselein sein,
Er pflückte mich wohl mit den Händen so klein!

Mit Händen so klein und mit Händen so weiß,
So weiß ist kein blühendes Hagedornreis.

O wär' ich ein Röslein im Hagedornwald,
Er legte mich wohl auf sein Herze gar bald!

Er geht von uns fort, ach! da zieht er hinaus,
Sobald nur der Winter hereinlugt in's Haus.

Er fliegt mit der Schwalbe, sie wandern selband,
So weit und so weit in's französische Land.

Doch kommt dann der Frühling, der liebe, heran,
Da kommt er schon wieder und klopft bei uns an.

Wenn rings in dem Korne Blaublümlein anfgeh'n,
Die Felder voll wehender Haferblüth' steh'n,

Die lustige Wachtel im Gerstenfeld springt,
Der Fink und der Hänfling sein Lied dazu singt:

Da kommt er zur Kirchweih, da kommt er zurück
Mit allen den Festen, mit allem dem Glück,

O sah' ich die Blumen doch blüh'n immerfort,
Das ganze Jahr Feste in unserem Ort!

Und Schwalben sich wiegen dahin und daher
In unseren Gassen, ich liebe sie sehr!

O sah' ich sie schwirren daher und dahin
Jahraus und jahrein wohl um unser Kamin!

Wie schön ist in den  » M a i b l u m e n «  das Sterben der Jugend besungen:

Zum Brunnen ging ich in der Nacht,
Da sang die Nachtigall süß und sacht:

»Es flieht der schöne Monat Mai,
Und mit den Blumen ist's auch vorbei.

»Glückselig, wer in der Jugend stirbt,
Um den der Tod im Frühling wirbt!

»Denn wie die Rose vom Stengel fällt,
So scheidet die Jugend aus der Welt. ect.

Merkwürdig durch ihre Kraft, Phantasie und Inbrunst sind auch die religiösen Gedichte. Wie in der »Göttlichen Komödie« fehlt weder Hölle, Fegfeuer noch Paradies. »Das Paradies« ist reich an poetischen Bildern; es wird hauptsächlich von den Fischern zum Ruderschlag gesungen.  » D i e  H ö l l e «  kann für eine Miniaturausgabe der berühmten Dante'schen gelten. Wir greifen aus dem Zusammenhang einige Züge heraus:

In der Hölle tiefstem Abgrund   leuchtet nicht die kleinste Helle;
Nebel ziehen, und die Pforten   sind verwachsen mit der Schwelle.
Gott, der Herr, hat selbst die Riegel   vorgeschoben an den Thoren;
Niemals öffnet er sie wieder,   und der Schlüssel ist verloren.

Rauch sind eines irdschen Ofens   Wände nur, die rothentflammten,
Gegen jene Glut die zehret   an den Seelen der Verdammten.

Furchtbar sinnverwirrend heulen   sie, wie wuthbesessne Hunde;
Keine Rettung; wo sie fliehen,    züngeln Flammen ans dem Grunde.
Flammen über ihren Häuptern,   unter ihren Füßen Flammen!
Flammen, ewig zehrend, fressend,   schlagen über sie zusammen.

Brennen wird sie solches Feuer   daß das Mark in ihren Knochen,
Von der unnennbaren Hitze,   wird in seinen Röhren kochen.

Und nachdem sie lange brannten,   nimmt sie Satan aus der Flamme,
Und er taucht sie in ein Eismeer   nieder bis zum schwarzen Schlamme;
Taucht sie dann ins Feuer wieder,   und im Eise, das es siedet,
löscht er sie zum zweitenmale,   wie das Eisen das man schmiedet. ect.

Dieses älteste und populärste Lied über die Hölle wird bald dem Pater Morin, der im fünfzehnten, bald dem Pater Maunoir, der im siebzehnten Jahrhundert lebte, zugeschrieben. Uebrigens befindet es sich nicht in der Sammlung der religiösen Gedichte dieses letztern, sondern in einer älteren Sammlung; doch ist die abweichende, mündliche Ueberlieferung kecker und plastischer. Wenn man weiß wie dieses Gedicht noch heutigen Tags von alt und jung in der Bretagne gläubig gesungen wird, dann wundert man sich nicht mehr daß die Macht der Kirche, so oft in ihren Grundfesten erschüttert, immer wieder Stützen findet; und daß es Orte gibt wo das Mittelalter noch im neunzehnten Jahrhundert lustig fortexistirt, wie wenn es gar keine Geschichte gäbe.


Ludwig Pfau: Freie Studien. Stuttgart: Ebner 1866. S. 621-648.
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