Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 28. 12. 1886
Adressat: Anna Spier


Stuttgart 28. Dez. 1886

Liebe Anna!

Deine Postkarte kam erst am Monatg nach Stuttgart, so daß ich am Sonntag allerdings in Unruhe war. Nun ist es aber, wenn nicht definitiv besser, doch auch nicht schlimmer, und Dein Papa hatte ganz recht, daß er Dich nach Haus schickte - der 'Pflichfanatiker' die widerpflichtige Opferfanatikerin. Die Opfer sind eben häufig ansprechender als die Pflichten; denn für die Opfer bekommt man ein besonderes Liebeshonorar, während es bei den Pflichten heißt: Du hast nur Deine Schuldigkeit gethan. Deshalb will mirs manchmal vorkommen, daß hinter dem Opfermuth doch auch ein Stückchen Egoismus stecke. Aber wo versteckte der sich nicht? Wo freilich das Herz so in Mitleidenschaft gezogen ist wie in der Sorge um einen geliebten Vater oder threuen Freund, das bringt auch die schärfste Analyse nicht recht heraus, wo das eine Gefühl anfängt und das andere aufhört.

Nun, jedenfalls hat all die Bescherungsarbeit Dich so in Anspruch genommen, daß Du den Frankenthaler Gedanken nicht so nachhängen konntest, und das ist gut. Man muß sich nie von einer Sache den Kopf ganz und gar einnehmen lassen; denn ein solcher Zustand, wenn ihm auch die edelsten Motive zu Grunde liegen, ist immer eine gelinde Verrücktheit. Damit will ich der Stärke des Gefühls nicht zu nahe treten, sondern nur, daß der gesunde Gedanke Herr im Haus bleibe. Daß Dein 'Grust' sich noch vermehrt hat, nimmt mich nicht wunder, denn Grust zieht immer Grust an; dagegen helfen keine Enthaltungsverträge, das gehört ins Kapitel der Schwerkraft. Hoffentlich bleibt noch ein kleines Eckchen für mich, bis ich wieder nach Frankfurt komme.

Wenn ich Deine Hexenschrift richtig lese, so fragst Du nach Madame Defregger. Wie kommst Du denn auf diese? Ich habe sie einmal in München in ihrem Hause gesehen, es ist freilich
schon eine geraume Zeit her, und damals war sie eine recht hübsche kräftige Frau ungefähr von dem Typus der Defregger'schen ((Körlerinnen)). Inzwischen wird sie wohl zugenommen haben, wie der Ruhm ihres Mannes, aber in weniger vortheilhafter Weise. Es ist mir einmal etwas zu Ohren gekommen, wie wenn in ihrer häuslichen Führung nicht alles in Blei wäre, aber ich habe nur eine ((unintakte)) Erinnerung daran und könnte mich täuschen.

Gretel braucht nicht so viel Aufsehens von einem alten Bleistift zu machen, und daß ich ihr in alter Freundschaft und neuer Theilnahme gedenke, ist selbstverständlich. Ich lasse
sie recht schön grüßen und ihr baldige vollständige Herstellung wünschen. Mit alledem hast Du mir aber natürlich nicht geschrieben, wie es eigentlich mit ihr steht: ob die Wunde ganz geheilt ist, inwieweit sie den betreffenden Arm wieder rühren oder gebrauchen kann, ob sie überhaupt das Krankenzimmer verlassen hat und wieder in normalem Umtrieb sich befindet.

Wegen meines Hustens hab ich freilich auch ihre Ärzte konsultirt; auch schon verschiedenes getrunken, eingeathmet ect., aber das Zeug hilft ja alles nichts. Der beste Doktor ist die
Natur, die sich immer wieder selbst hilft, und wenn die es nimmer fertig bringt, dann ists halt 'rum'. Bei chirurgischen Dingen ist /es/ freilich ein anderes, das sind mehr oder weniger
mechanische Eingriffe, und da weiß man, woran man ist.

Mit besten Wünschen für den Rest der Feiertage und herzlichen Grüßen an alle
                                                                                                             Dein L. P.


Quelle: Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.
Best.: A: Pfau - o.Nr. -
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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