Ludwig Pfau (1821-1894)

Kampf ums Ideal.

1846.

Erste Szene.

Ernst. Vater. Mutter.

Vater.
Schon lange seh' ich diese Stunde kommen,
Die eines Vaters Hoffnungen zerknickt
Und eines Sohnes Zukunft untergräbt;
Vergeblich war mein Rat, umsonst mein Kampf –
Das Ei will klüger als die Henne sein.

Ernst.
Warum nicht, wenn ein Hahn im Dotter steckt?

Vater.
Meinst du, die ernste Lehre eines Lebens
Und die Erfahrung strenger Arbeitsjahre
Mit deines Mundes Hauch hinwegzublasen?
Glaubst du, ob diesem Grund der Wirklichkeit,
Der alles niederzieht, im Traum der Dichtung
Dahin zu fahren wie ein Sommerfaden?
Hoffst du, den goldnen Boden des Erwerbs,
Den ich gelegt, verlassend und verschmähnd,
Vom luft'gen Wahne deines Hirns zu zehren?

Ernst.
Heißt Wahn der Durst nach Übung meiner Kräfte,
Nach Bildung und Erweitrung meiner selbst?
Heißt Wahn die Kunst und Wahn die Wissenschaft?

Vater.
Warum denn nicht? wenn deine Kunst nichts kann,
Und deine Wissenschaft nichts weiß noch schafft.
Welch schlimme Sonne hat mit gift'gem Strahl
Auf meinem kerngesunden Wurzelstock
Mir diese tolle Pflanze ausgebrütet?

Ernst.
Dieselbe, die im Feld die Ahre reift
Und auf dem Berg die junge Traube rötet;
Damit der Ähre Mark den Leib ernähre,
Der Traube Blut des Menschen Herz erfreu'.

Vater.
Wohl kann man dich dem Traubensaft vergleichen,
Doch nicht dem edlen Wein, der still und stark
Im Fasse ruht, dem wilden Moste nur,
Der an des Fasses festen Banden rüttelt.

Ernst.
Der tollste Most giebt nicht den schlechtsten Wein.

Mutter.
O wird, mein Sohn! ein treugemeintes Wort
Den starren Sinn dir nie zum Besten wenden?
Willst du denn immer nur dir selber folgen
Und nie der Freunde Warnungsstimme hören?

Ernst.
Weh dem! der andrem als sich selber folgt.

Mutter.
Wohl dem! der klugen Rat nicht stolz verschmäht.

Ernst.
Du willst mir raten, Mutter? Kannst du es?
Kennst du der Seele heißen Sehnsuchtsdrang,
Der Erd' und Himmel an den Busen reißt,
An einen Busen, ach! zu schwach doch oft,
Der Welterkenntnis hohe Last zu tragen?

Mutter.
Drum trage jeder, was er tragen kann.

Ernst.
Wer Lasten scheut, wird sie nie tragen lernen.

Mutter.
Der weise Mann läßt sie von andern tragen.

Ernst.
Der Thor vielmehr: denn was den Weisen drückt,
Das ist die Last, die er nicht tragen darf.

Mutter.
Mach dir die Bürde leicht, mein Sohn! glaub mir:
Das Leben ist auch ohne sie ein Kampf.

Ernst.
Dank sei der Schöpfung, daß dem also ist,
Denn wär's kein Kampf, so war' es auch kein Leben.
Wohl dem! der rüstig ringen kann und mag,
Er lebt allein ein tausendfaches Leben.
Im Kampf allein, da spürt der Mann die Kraft;
Da ist ihm wohl, wenn alle Elemente
Des Lebens sich, lautdräuend, um ihn wälzen,
Und dann die Brust, sturmspaltend, vorwärts dringt.
Das Leben ist ein Schwimmen durch den Strom.
Sieh, wenn ich schwimme, wie ist mir so wohl,
Daß ich mich halte mit der Arme Kraft
Und Herr bin übers tück'sche Element;
Daß sich die Wellen schmiegen wohl und kräuseln
Um Brust und Nacken, ihnen hingegeben,
Doch keine mich zur Tiefe ziehen kann.

Mutter.
Wie manchen zog's schon in die dunkle Tiefe!

Ernst.
Viel besser ist's, im Strome untergehn,
Als ewig lechzend an den Ufern sitzen.

Mutter.
Auch stilles Wirken probt die Kraft, das Glück
Wächst nicht allein am Rande der Gefahr.
Das Menschenherz ist wie ein Vögelein:
So oft es auch hinausfliegt in die Welt,
Zum Neste kehrt es allezeit zurück,
Vom Kampfe fern in sicherem Versteck
Im Busen sich die eigne Welt erbaun,
Das ist das dauerndste, das schönste Glück,

Ernst.
So denkt das Weib, die, was das Leben beut,
Hineinstellt in des Busens still Gemach
Und, ordnend, es als Hausfrau überwaltet.
Der Mann denkt anders, der, was in ihm gärt
Und keimt, was Leben und Gestaltung will,
Hinausstellt in die weite, freie Welt,
Daß er es wachsen sehe unterm Himmel. –
Ich kann nicht leben, nur um am Gewebe
Der Tage wie ein Sklave fortzuspinnen,
Den Docht zu tränken, daß die Lampe brenne.
Soll all die reichen Kräfte meiner Brust
Nur nach dem einen, armen Punkt ich wenden?
Nur leben, um hereinzuraffen, und
Herein nur raffen, um zu leben – pfui!
Soll ich, der allgeborne, freie Mensch,
Ein Gehwerk sein, darin der ew'ge Geist
Als Feder nur des Kreislaufs Räder treibt?

Vater.
Emporgewachsen unter milder Sonne,
Von keines Mangels Schwere je gedrückt,
Nimmst du, o Jüngling! noch das Leben leicht
Und siehst verächtlich nieder auf die Quelle,
Die bisher dich ernährte und erhielt.
Das Leben ist ein strenger, ernster Gott,
Der nicht von Knaben mit sich spielen läßt;
Des Daseins helle Seite kennst du nur –
Du junger Thor, lern nicht die dunkle kennen!

Ernst.
Das Gegenteil! Im Dunkel weilte ich,
Und nach der Helle drängt die Seele mir.
Was giebt es dunklers, als die Nacht, in der
Des Geistes Lichtdurst ihr gefangen haltet?
Das Herz im Leibe möchte mir zerspringen,
Seh' ich die Tausend an und aber Tausend,
Die über diese schöne Erde gehn,
Hoch überm Haupt das unermessne All,
Und die nicht wissen, daß sie Menschen sind,
Und denen ein erhabnes Menschenleben
In ahnungsloser Dumpfheit weiter fließt.

Vater.
Erkenne erst des Mannes rechten Wert,
Der, eines Kreises fester Mittelpunkt,
Mit kluger Hand die Fäden hält und leitet,
Die, weitverschlungen, sich durchs Leben ziehn;
Der steten Sinns das Wohl der Leinen hütet,
Die sicher auf ihn, wie auf Felsen baun.
Solch Wirken geht auf festem Grunde hin
Und lohnt mit festen, lebenswarmen Gütern
Und nicht, wie Musendienst, mit Schaum und Dunst,
Da kommt der Segen wie ein Strom geflossen,
Es füllen sich der Kammern weite Räume,
Von Wohlbehagen glänzt das ganze Haus,
Und wo man hinsieht, blickt Zufriedenheit
Mit roten Wangen, lächelnd, uns ins Aug'.
Hier leg den Witz an, den Natur dir gab,
Als sichres Kapital, das Zinsen trägt;
Was hilft es, wenn du ihn als Licht verbrennst,
Bei dem du nur dein Trübsal sehen kannst?

Ernst.
Dies ist die Sonnenseite, die du zeigst,
Die Schattenseite kenn' ich nur zu wohl.
Hier ist die Rede davon nicht, die Zwecke
Der Menschheit zu erkennen und zu fördern;
Die eignen nur darf man im Auge halten,
Um jeden Vorteil zu erspähen und
Der Gier der andern schnell vorweg zu nehmen.
Da ist des Lebens erstes, letztes Ziel,
Die eigne Selbstsucht emsig groß zu mästen,
Von Herzen achten will ich ja den Mann,
Der selbst den niedersten Beruf mit Sinn,
Mit Lieb' und Lust zum Wohl der Seinen treibt;
Nur wollt nicht, daß ich, was ich nicht verachte,
So achten soll, daß ich mein ganzes Leben,
Mein ganzes Thun und Denken drein versenke,
Denn anders ist die Seele mir geschaffene
Nach weitern Kreisen reiner Thätigkeit
Drängt mich der Geist – ihm folg' ich, denn ich muß.

Vater.
O dann erst, wenn das Nöt'ge dir gebricht,
Wenn an den kleinen, eigensinn'gen Mangel
Dein Hirn du wie an einer Mauer stöß'st,
Die dich das Große zu vollbringen hindert –
Dann wirst du sehn, welch köstlicher Besitz
Es ist um Hab und Gut, um Haus und Hof,
Und wie am Kleinsten kann das Größte scheitern.

Ernst.
Was kann man Großes von dem Manne hoffen,
Der in der Brust der Kräfte Regung spürt,
Nur wie die Raup' in banger Thätigkeit
Das seidene Gehäuse sich zu spinnen?
Und der doch nimmermehr zum Falter wird.
Wie ekelt mich dies nicht'ge Streben an
Nach Schein und Schimmer in dem engen Kreise,
In dem sich jeder wie ein Surrtopf dreht;
Nach Würdentand und feilen Ehrenzeichen,
Nach all den Flittern kind'scher Eitelkeit,
Die eines Menschen Busen füllen sollen –
Die Menschenbrust, den tiefen, heil'gen See,
In dem des Himmels hoher Dom sich spiegelt.
Die Sterne all ihr funkelnd Antlitz baden,
Aus dem das ganze Weltall wiederblaut.

Vater.
Mit blauem Dunste dir den Kopf zu füllen. –
Geist kann man auch, Verstand und Wissen zeigen,
Wenn man in des Berufes enger Grenze
Mit klarem Auge und mit sichrem Griff
Den rechten Augenblick am Schopfe faßt
Und sich zum Herrn des falschen Glückes macht.
Da stellen Ehr' und Ruhm von selbst sich ein;
Da kann man fördern, was man liebt, und weit
Und weiter dehnet sich des Wirkens Kreis.

Ernst.
Was kann der arme Mensch, der Kleingeborne,
Der dunkle Tage im Verborgnen spinnt,
Was kann er thun mit seinen kurzen Armen,
Wenn er sie noch so übermächtig reckt?
Klein bleibt der Teil, der von dem Schicksal ihm
Am großen Werk der Menschheit zugeteilt ist;
Drum wem der Mensch im Busen recht erwachte,
Daß er sein winzig Ich als einen Pulsschlag
Im großen, ew'gen Kreislauf klopfen spürt,
Der greift nicht nach der armen, kleinen That,
Wie sie dem Armen, Kleinen offen steht –
Ihm ist des Geistes weites Reich geöffnet,
Wo keine Schranke vorgeschoben ist.
Das Licht selbst ist so flink nicht und so frei,
Wie der Gedanke, der allgegenwärt'ge,
Der, gleich dem Geiste Gottes überm Wasser,
Hoch über allem, was zum Staube kehrt,
In ew'ger Fülle unzerstörbar schwebt,
Hier ist die Werkstatt, drin ich schaffen will,
Und hier der Acker, den ich bauen werde;
Der Früchte edelste gebiert sein Schoß,
Die Tausend nähren und nicht minder werden,
Die sich vermehren, wenn man sie genießt.

Vater.
Die Tausend nähren, und dich selber nicht.

Ernst.
Ich habe ein genügsam Herz, das nicht
Nach Freuden strebt, die man mit Gold erkauft,
Wer nur nach Reichtum ringt, der darbt gewiß,
Denn größer als erwerben ist die Kunst,
Erworbnes zu genießen; dazu braucht's
Ein Menschenherz, das an der Schöpfung Brust
Mit der Erkenntnis Milch gesäuget wurde,
Und nicht in Banden des Erwerbs erstarrte.
Nur der ist reich, deß Sinn erschlossen ist,
Ein leer Gemüt muß in der Fülle darben.
Ich aber fühle mich so reich, daß ich
Des Reichtums nicht bedarf, um reich zu sein!
Geht nicht die Sonn' ob allen Häuptern auf?
Und streut nicht die Natur die reichsten Schätze
Mit offner Hand auf allen Wegen aus?
Umgiebt den Denkenden mit ahnungssüßem,
Geheimem Schauer nicht ein ew'ges Schaffen,
Ein ew'ges Werden wie ein Freudenfest?
Darf er der Menschheit Schatz nicht mitbesitzen,
Den seit Iahrtausenden die Geister häuften?
Es braucht nichts als ein offen Menschenherz,
Das redlich strebt, um froh und reich zu sein.

Mutter.
Wohl braucht's, mein Sohn, noch andrer Lebensgüter,
Die den Genuß der Freuden, die du rühmst,
Uns sichern müssen, daß die Sorge nicht
An ihrem zarten Leben stündlich nage;
Denn ohne Sicherheit kann kein Besitz
Dir Freude bringen: wenn die Sorge naht,
Flieht der Genuß, und alle Lust ist tot.

Ernst.
Nicht ganz möcht' ich die Sorge feindlich nennen,
Was uns das Glück im Schlafe zuwirft, das
Genießen wir im Schlaf und wissen's kaum;
Zweifache Freude aber bringt, was wir
Dem Leben keck im Kampfe abgetrotzt.
Und ward dem Manne keine andre Pflicht,
Als dem Genuß den sichern Port zu baun?
Er soll sich als ein Glied des Ganzen fühlen,
Das heil'ge Rechte hat an seine Kraft.
Nicht nehmen soll er nur, was von der Welt
Mit Fug er fordern mag, was er der Welt
Zu leisten schuldig ist, soll er auch geben.

Vater.
Das ist es ja, was ich von dir verlange;
Nicht Worte — Thaten, Thaten will die Welt!

Ernst.
Das rechte Wort ist mehr als eine That,
Aus ihm entspringen unzählbare Thaten;
Es fällt befruchtend in den Kelch der Zeit,
Daß lust'ge Triebe aus dem Grunde schießen,
Die unsichtbar und schlummernd drin gelegen.
Und giebt es Männer, die am Einzlen schaffen,
Die Thai im ihnen zugemessnen Kreise
Zum Ziele führen, muß es andre geben,
Die 's Ganze suchen und das Einzelne
Zu größern Wirkungen zusammenfassen,
Daß aus dem Ganzen neue Einzelthaten
Entspringen können. Jeder greift nach dem,
Wozu er Kraft und Neigung in sich spürt;
Der eine sorglos nach der schlichten Chat,
Der andre sinnend nach dem weitverzweigten
Umfassenden Gedanken. Lasset mich!
Die inn're Arbeit ist mein Lebensöl,
Und ohne Dichten oder Denken hörte
Das Leben auf, ein Leben mir zu sein.

Vater.
Und was ist nun das End' von diesem Lied?

Ernst.
Die Zeit schlägt mit Posaunenton ans Ohr
Von jedem, der ihr Brausen hören mag.
Am Himmel steigt ein neuer Morgen auf
Und überdämmert schon die alte Nacht,
Die sich mit scharfem Wehn zu Ende neigt.
Schon weckt der Morgenwind die Freiheit auf,
Und, vorwärts schreitend, holt die Menschheit aus
Zu einem Riesenschritte. Manches wankt,
was felsenfest zu stehen schien, und manches
wächst hoch empor, das man gern nieder hielte.
Gar vieles keimt aus Samen, welcher längst
Vermodert schien, und den die treue Erde
Am warmen Busen liebevoll bewahrte.
Hier giebt es Arbeit für ein Menschenherz,
Und hier ein würdig Ziel für Menschenstreben!
Hier ist ein Bau, an dem ich helfen will;
Versunkene Geschlechter haben, Steine
Auf Steine legend, emsig ihn umwandelt,
Jahrtausende getürmt, und ewig wächst
Er in die Wolken fort, und jeder Stein
Ist eine schöne, große Menschenseele.

Vater.
Solch überspannte Dinge klingen prächtig
In Reden und Romanen, doch im Leben –

Ernst.
Ja, überspannt, so heißt ihr alles, was
Nicht abgespannt ist, alles, was
Sich lösen will aus eurem alten Gleise,
Um frei zu wachsen, wie es Gott gefällt.
Ihr habt den Menschen so verkümmert und
In eures Lebens Formen eingezwängt,
Daß ihr den Menschen selber nicht mehr kennt.
Ihr habt der Seele Kräfte ausgerenkt
Aus allen Fugen, daß ihr staunend steht,
Wenn eine Kraft zu wirken sich bestrebt,
Wie die Natur, sie schaffend, es begehrte.
Seht dort den Taxus, der von Gärtnerhand
So zierlich zugestutzt wird und beschnitten –
Welch traurige, zwerghafte Kreatur!
Das hohe Streben in den freien Raum
Dem Eigensinne kind'scher Form geopfert!
Starr, schattenlos; das Säuseln und das Wehn
Verstummte in der Schere dummem Klappern,
Früh werden seine Blätter gelb im Herbst,
Mit jedem Lenze treibt er schwächer aus –
Wozu auch treiben, wenn die blinde Schere
Die kräftig junge Spitze jeden Triebes,
Die fruchtverkündende, herunterwirft?
Seht dort die junge Linde nebenan,
An die kein Finger schändend je gestreift!
Seht, wie das aufsteigt frei, nach Herzenslust!
Wie jeder Trieb, der aus der Tiefe dringt,
Sich in der Höh' am Sonnenlicht entfaltet
In reicher Fülle lebensfroher Blätter;
Wie das sich singend in der Freiheit wiegt,
Vom eignen Dufte trunken und berauscht! –
Ihr wollt' mich, jenem gleich, zu Schanden schneiden?
Frei will ich wachsen wie der Lindenbaum!

Zweite Szene.

Vater. Mutter.

Vater.
Da fährt der Knabe hin in seinem Trotz.

Mutter.
O sei nicht ungerecht! Wohl ist es schmerzlich,
Wenn nun das Kind, das wir herangebildet
Und lange als ein Stück von uns betrachtet,
Sich plötzlich loslöst von dem alten Stamme
Und seine eignen Kräfte geltend macht.
Doch ist es auch der klugen Eltern Pflicht,
Im Jüngling die erwachte Kraft zu achten,
Die wurzeln will in ihrem eignen Grund.

Vater.
Die Mütter schützen gern der Söhne Thorheit.

Mutter.
Vergebens hab' auch ich mich angestrengt,
Ihn aus der längstgesuchten Bahn zu scheuchen.
Ihm einen Tropfen meiner Muttersorgen
Ins rasche, heiße Jugendblut zu träufeln –
Wozu ihn ferner drängen oder irren?
Ein jeder sieht einmal mit seinen Augen
Das Leben an, und jeder sieht es anders
Und will auf feine Weise glücklich sein.
So ging auch er schon früh den eignen Weg,
Doch keinen schlimmen; denn ein wackres Herz,
Ein tief Gemüt hat er uns stets bewährt,
Und manche Freude hat sein reger Geist
Und seiner Gaben Fülle uns gebracht.

Vater.
Gefährlich sind die Gaben, die er hat,
Und haben manchen, welcher blind, wie er,
Auf sie vertraute, nur in Not geführt
Und schnöd verlassen dann. Die Klugheit ist
Die erste Gottesgabe, und wo sie
Gebricht, gehn alle andern Kräfte auf
In Rauch, wie Geld im Beutel des Verschwenders.

Mutter.
Komm! laß die Arbeit, die der Tag verlangt,
Uns ruhig vollenden und das Beste hoffen;
Wir haben ja das Unsrige gethan.
Nicht kann ich ihn verloren halten, mag
Er auch beginnen, was uns Sorge macht:
Solang des Menschen Sinn ein edler.ist,
Kann man ihn ruhig auf allen Wegen sehn.

Vater.
Wo hört ein Mutterherz zu hoffen auf? –
Der Edelsinn steht leider unter pari.

Dritte Szene.

Ernst. Lisbeth.

Ernst.
Hier unter diesen Bäumen laß uns ruhn,
Daß diese laue, blütenschwangre Luft,
Die traulich wie ein Freund ins Bhr uns lispelt,
Vom Herzen jede bange Sorge wehe.
Wenn uns des Lebens wirrer Knäuel eng
Die dunkeln Fäden um die Seele spinnt,
Dann nur hinaus! hinaus in Wald und Feld!
Daß wir, von all dem Menschentreiben fern,
Herzliche Kinder der Natur uns fühlen.
Da wird uns wieder frei und leicht zu Sinn,
Wenn keine Menschensatzung mehr uns quält,
Wir nur im großen Herzen der Natur
Die ewigen Gefühle klopfen spüren,
Die wiederhallen in der eignen Brust.

Lisbeth.
So war mein Herz vor Zeiten auch gestimmt.
Am Fluß, der sausend uns das Radwerk treibt,
An jener Stelle saß ich stundenlang,
Wo in dem Wasserbecken, still und tief,
Die grauen Weiden ihre Zweige baden,
Und dann das Wasser, das sich wie ein Tuch,
So sanft und eben zu dem Wehre zieht,
Lautrauschend plötzlich in die Tiefe stürzt.
Wenn ich dort, alles um mich her vergessend,
So still zufrieden, nur dem Glanz der Perlen,
Die tausendfarbig von dem Wehre stäuben,
Dem Sang der Vögel, dem geheimen Rauschen
Der alten Weiden hingegeben, lauschte –
Da dacht' ich oft, so innerlich vergnügt,
So ohne Schmerz und Angst und wildem Drang
Muß es den Blumen und den Bäumen und
Den Vöglein um mich her zu Mute sein.

Ernst.
Und kannst du nicht mehr so wie damals fühlen?

Lisbeth.
O seit ich dich in meinem Busen hege,
Als höchstes Gut, das meine Seele kennt,
Kann ich nicht mehr bewußtlos untersinken
In jenem stillen Schauen der Natur.
Dich seh' ich überall, wohin ich blicke –
Das traute Thal, das sonnenhell sich öffnet,
Durchwand!' ich nur an deiner Hand; die Wege,
Die halbversteckten Dörser und die weiten
Gebirge macht dein hergezaubert Bild
Allein lebendig; deine süße Nähe
Schwebt über allem, was sich um mich breitet,
Und in des Waldes Flüstern glaub' ich deiner
Gedanken Hauch zu hören, und das Rauschen
Des Baches bringt mir deiner Liebe Gruß.

Ernst.
Nur näher deinem Herzen muß es rücken,
Was so die Liebe weihet und belebt.

Lisbeth.
Nur in des Glückes reinen Stunden lebt
Allüberall das Teure uns entgegen;
Doch Liebe darf ja ohne Leid nicht wohnen,
Und drohend strecken rohe Hände nach
Des Herzens teuerstem Besitz sich aus,
Ach! wenn des Lebens Wirrsal mich bedrängt,
Schau' ich umsonst nach Mitgefühl umher
In der Natur, in der belebten
Sieh, wenn ich auch zum Sterben traurig bin,
Die Sonne scheint so hell, das Wasser rauscht
So froh dahin, das Vöglein hüpft und singt;
Die Freude webt die Blumenkränze fort.
Da ist mir oft, als ob dem Frohen nur
In der Natur ein Herz entgegenschlage.

Ernst.
Verlangst du Thränen, poch ans ZNenschenherz,
Von der Natur erwarte andern Balsam;
Denn nur der Frohe kann den Trüben heilen,
Der Feste nur dem Schwanken Stütze sein.
Das macht ja die Natur zum großen Arzt
Des kranken Menschenherzens, daß sie so,
In stetem Wirken stets sich selber gleich,
Vom wirren Drang der Leidenschaften fern,
Ein stiller Gott auf ew'gen Bahnen geht,
Die Heiterkeit der innern Schöpferkraft
Wie eine Flamme auf der Stirne tragend.
Selbst wo du Moder und Verderben glaubst,
Bereitet sie nur eine neue Welt
Und paart die feuersprühnde Wirkungskraft
Mit liebevoller Anmut, daß selbst um
Das ehrne Zepter der Notwendigkeit
Sich junges Grün und heitre Blumen ranken.
Und über Tod und Leben, Lust und Leid
Spannt sie den alten, golddurchwirkten Himmel
Wie einen weiten Gottessegen aus.

Lisbeth.
Achl unbekümmert um uns arme Menschen!

Ernst.
Das eben ist der Trost in der Natur,
Vaß ihr Gesetzbuch unabänderlich,
Und daß in ihr der Mensch den Kompaß hat,
Der sicher stets zum Pol der Wahrheit weist.
Drum bring nur deine Schmerzen der Natur,
Und was dir auch das Herz bewegen mag,
Verstehst du nur ihr hohes Walten recht,
Wird sie dir eine milde Freundin sein.
Hier weht der Friedenshauch der Ewigkeit,
Der sanft die Wellen glättet, die der Sturm
Des Augenblicks in unsrer Brust erregte.

Lisbeth.
O könnt' ich doch mit deinen Augen sehn!
Doch sieh', ich bin ein furchtsam hilflos Weib;
Mich faßt des Augenblickes starke Macht.

Ernst.
Der ist nicht hilflos, den die Liebe hält.

Lisbeth.
Bei dir ist wie ein Traum mein Leid verschwunden. Ernst.
Bin ich auch ferne, bin ich doch bei dir.

Lisbeth.
Nur deine Nähe, die ich fühle, macht
Mich stark genug, den Stürmen Trotz zu bieten,
Die auf mein schwaches Haupt sich niederstürzen,
Wie Stößer auf die Taube. Sieh, wenn Eltern,
Geschwister, Freunde, alles mich bedrängt,
Wenn sie mit milder Liebesrede bald
Und bald mit zorn'gem Drohn mich beugen wollen,
Und Schmach und Hohn auf dein geliebtes Haupt
Mit schlimmen Worten häufen, und ein traurig
Gemälde meiner Zukunft mir entrollen,
Um ein verhaßtes Band mir aufzuzwingen –
Ich wanke nicht; doch wenn sie so das Herz
Mit Weh mir füllten und das Aug' mit Thränen,
Kannst du mir zürnen, wenn ich schaudernd zweifle –
O nicht an dir und unsrer Liebe, aber
An unserm Stern; und wenn die Hoffnungen,
Die ich im Busen hegte, wie ein Zug
Verscheuchter Vögel, fern und ferner fliehend,
Zuletzt im Unermeßlichen verschwinden?

Ernst.
Trägst du der Liebe heiligen Hort nicht sicher
In deiner Brust? Wer will dir den entreißen?
Stehst du nicht fest auf dieser Erde Grund?
Und gehn am Himmel nicht die goldnen Scheiben
Des Mondes und der Sonne ihre Bahnen?
Und schaun ob deinem Scheitel nicht die Sterne,
Die sel'gen Wandrer, segnend aus den Lüften?
Und wandeln so nicht ewige Gefühle
In deiner Brust gleich leuchtenden Gestirnen?
Und schaust du mir nicht Aug' in Auge, steigt
Nicht Strahl in Strahl und Seel' in Seele nieder?
Und hangt nicht Mund an Mund? und klopft nicht Herz
An Herz? und drängt von Brust zu Brust sich nicht
Der heiße Strom gewalt'ger Seligkeit,
Der aus der Tiefen tiefster sprudelnd stürzt
Hinüber und herüber und die Seele
Mit endlos reicher Gegenwart erfüllt?
Wer reißt die Sterne von des Himmels Zelt?
Wer reißt dir aus dem Herzen die Gefühle?

Lisbeth.
B wenn ich dich nur habe, furcht' ich nichts,
Und mag die Welt mich schmähen und verdammen,
was kümmert's mich? — du bist ja meine Welt!

Ernst.
Wohl kenn' den Grimm ich der Erbärmlichen,
Die hassen, was nicht niedrig denkt wie sie;
Die ihres eignen Lebens Schmutz und Schmach
An jeden heften, der, statt als Kam'rade
Mit ihnen durch der Straße Schlamm zu ziehn,
Den eignen, schmalen Weg sich kämpfend bahnt
Durch Wald und Wildnis zu des Lebens Gipfel,
Wegschreitend keck von Höh' zu Höh' ob den
Morästen, wo verbifsnen Grimms die Unmacht
Den Kot emporwirft, drin sie zappelnd lebt.

Lisbeth.
Der Menschen Urteil kann mich nicht beschweren,
Denn meines Herzens Stimme ruft mir laut
Und sreudig zu, daß ich nur besser, edler
Geworden bin, seitdem ich dir gehöre.

Ernst.
B laß nur immer klar und ungetrübt
Des Herzens lautre Stimme zu dir sprechen!
Ia, lausch' hinab in deines Busens Grund,
Wo, wie aus tiefem Felsgeklüft der Strahl,
Des Lebens reine CZuelle murmelnd springt,
Und horch, wie jeder Atemzug der Brust,
Durch deines Wesens Bau harmonisch klingend,
Dir sagt – wie jeder Wellenschlag des Herzens,
Durch deine Adern rauschend mit Gesang,
Dir wiederholt: daß wir uns lieben, lieben!
Ia, lausch hinab und schwelg in dem Gefühl,
Daß diese Liebe göttlich ist, erfüll
Mit seliger Gewißheit deinen Sinn,
Dann wird der Strudel einer wirren Welt
Umsonst an deines Busens Wölbung schlagen.

Lisbeth.
Wenn deiner Stimme lieber Ton ins Ohr,
Wenn deiner Worte Macht ins Herz mir dringt
Und deiner Blicke Allgewalt ins Auge,
Dann bin ich wunderbar gestärkt, erhöht,
Und alle Bande fallen von mir ab.
Dann fühl' ich erst die Kraft, die heil'ge, klar,
Die mir ein Gott in meine Seele gab.
Der Reichtum meiner Brust liegt ausgebreitet
Vor meinen Augen und ich fass' es nicht,
An was ich zweifeln, wie ich weinen konnte.

Ernst.
O weine nicht um dieser Menschen willen!
Sie find nicht wert, mit ihrer rohen Wut
Den edeln Born der Thränen zu erschließen.
Spar diesen Weihthau einem schönern Schmerz.

Lisbeth.
An deiner Brust wird Wonne jedes Weh.

Ernst.
Hier sollst du ewig unvertrieben ruhn.

Lisbeth.
Achl bis die Meinen mich von hinnen reißen.

Ernst.
Wo ist die Macht im Himmel und auf Erden,
Die das mag trennen, was sich ewig liebt?
Komm! deine ThrSnen habe ich gezählt
Und deine Schmerzen, und das Maß ist voll.
Sie haben deine Bitten nicht gehört
Und deines Herzens bangen Schrei verspottet;
Der Würde Bpfer fordern sie von dir
Mit Drohn und Drängen – ihre Zeit ist um!
Des Weibes heilig Recht, sich selbst zu geben,
Gewicht warf um Gewicht es in die Schale
Der Liebe, bis die Kindespflicht, machtlos
Emporgeschnellt, dich frei und ledig sprach.

Lisbeth.
Ich laß ein Haus, deß Kind ich nicht mehr bin.

Ernst.
Bist du nicht mein, ich dein auf immerdar?
Wer will uns hindern, was wir ewig sind,
Auch ganz zu sein? Geschlossen ist der Bund!
Von nun an hast du keinen Vater mehr
Und keine Mutter, Brüder nicht noch Schwestern –
Die alte Heimat ist ein Totenhaus:
Gieb alles hin — ich will dir alles sein!

Lisbeth.
Nein ein und alles bist du lange schon.

Ernst.
Dies Wort der Liebe giebt mir Mut und Kraft,
Der Mißgunst und dem Unverstand zu trotzen.
Nicht mühlos ist die Zukunft, und es fällt
Mir schwer, dich in mein Schicksal fortzureißen!
Doch in den Händen der Barbaren dich
Zu lassen, ist noch schlimmer, als das schlimmste,
Was kommen kann, wenn wir vereinigt sind.

Lisbeth.
Geliebter! ja, an deiner Seite laß mich!
Und was auch kommen mag, ich will es tragen.
O ich bin stark! du sollst es sehen. Sott!
Es jauchzt die Seele mir in freud'ger Kraft,
Und Prüfungen möcht' ich vom Schicksal fordern,
Um dir zu zeigen, wie ich lieben kann.

Ernst.
So brich denn siegreich, wie der Schmetterling,
Aus deines engen Hauses Nacht hervor,
Wirf die gesprengte Bande ab und spanne
Der jungen Seele farbenhelle Schwingen
In Licht und Freiheit freudig aus; o möge
Dein Leben schön und leicht wie seines sein!

Lisbeth.
Sei's leicht, sei's schwer — schön muß es sein mit dir.

Ernst.
Und schön mit dir. Auch ich bedarf, mein Lieb,
Nun eines treuen, starken Herzens, das
Dem Heimatlosen eine traute Heimat
Voll Sonnenscheins in kalter Fremde sei.
Auch ich hab' aus des Vaterhauses Banden,
Den lang ertragnen, mich gerungen, heute
Zerbrach der letzte Ring der langen Kette,
Mit der mich Liebe, Dankbarkeit, Gewohnheit
Umwoben hatten, die ich Glied um Glied
Aus meinem Herzen riß – nicht ohne Schmerz.
Still mahnend stieg die frohe Iugendzeit
Vor meinem Blick empor: des Vaters Sorgfalt,
Der Mutter Zärtlichkeit – ein lichtes Bild,
Vor dem der Vorwurf meines Widerstreits
Gleich einem schwarzen Vorhang niedersiel.
Wohl stöhnt' ich leis; doch eine innre Stimme
Sprach: Bleib dir selber treu! – Der Kampf ist aus.
Ietzt sind wir einsam; aber wir sind frei.

Lisbeth.
O glücklich! wer an dem geliebten Herzen
Darf einsam ruhn – ach er ist nicht allein!

Ernst.
Ia, nirgends ist das Herz so arm und einsam
Wie mitten in der liebelosen Menge.

Lisbeth.
Mir deucht, erst jetzt gehören wir uns recht,
Seitdem wir niemand mehr als uns gehören;
Und jetzt erst, deucht mir, haben wir uus ganz,
Seitdem wir nichts mehr als uns selber haben,
Verlassen fühlt' ich mich in jener Welt,
Und nun, da wir, von aller N)elt verlassen,
Von hinnen ziehn, fühl' ich mich reich an Freunden.
Mir ist wie dem Gefangnen, welcher plötzlich
Aus dem gesprengten Kerker tritt, und dem
Sich nun die Freundeshand entgegenstreckt,
Und die Natur tröstend entgegenwinkt,
Um den die reiche Welt sich eifrig drängt,
Mit Liebe ihm die Schmerzen zu vergüten.

Ernst.
Ia, in uns wohnt, was uns beglücken kann,
Und was wir lieben, bleibt uns ewig treu.
Freundschaft und Liebe, Hoffnung, Freiheit, all
Die traulichen Gefühle, die uns Freude
Bereiten, führen wir mit uns, und Knechtschaft,
Verachtung, Haß und Zorn, was Schmerz uns macht,
Das lassen wir zurück an diesem Brt.
Der Menschen sind wir los, und die Natur,
Die holde Freundin, bleibt zur Seite uns
Auf allen Wegen. Ihre Pforten öffnet
Die Hauptstadt uns, und festlich ziehn wir ein.
Dort fließt der Strom des Lebens breiter hin
Und gehet tiefer; unbeachtet schifft
Der einzle Fährmann; ein unendlich Ufer
Erschließet sich dem Blick, und ernstem Streben
Ist dort ergieb'ger Boden zugesagt.
Von hinnen denn! Schon sinkt die Nacht herab
Und hüllt in ihren Schleier freundlich uns.
Und schnell sind wir bereit – nichts hält uns mehr!
Es reckt kein Arm sich aus, uns zu umfangen,
Kein Busen, der sich schmerzlich hebt und senkt,
Beut unserm Haupt ein letztes Ruhekissen,
Auf unserm Munde zuckt kein Abschiedskuß –
Wohl! kein Geleit braucht's! ziehn wir unsre Bahn
Einsam als wie die ewigen Gestirne.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S.425-450 .
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