Ludwig Pfau (1821-1894)

An einer Wiege.

Wie ruht es holdbeseelt, wie schläft es lind
Auf weißem Kissen, dieses ros'ge Kind!
Ihm ist der Schöpfungsgluten junges Licht,
Des Werdens Heil'genschein aufs Haupt gegossen;
Wie eine Blume blüht sein Angesicht,
Vom duft'gen Thau des Morgens überflossen.
Ja, wie die Lotosblume auf der Flut,
Wiegt es auf seiner Zukunft dunklem Schoße;
Wie eine junge unerschloßne Rose
An einer Braut hochgehndem Busen ruht,
Der ebbt und flutet zwischen Weh und Lust,
Liegt es dem Leben an der vollen Brust.
Sieh! diese zarten Wangen, wie sie glühen
Von jenen Feuern, die im Innern sprühen!
Schau! wie sie sich im Hauch des Schlafes schwellt,
Die junge Knospe einer künft'gen Welt!
Ein leises Schaffen und ein innres Weben
Geht auf und ab mit immer gleichem Schwanken,
Und unter dieser Stirn, gewölbt und eben,
Da wogen schon die einstigen Gedanken;
Da ist die Werkstatt, wo er heimlich schafft,
Der ew'ge Geist, der solche Wunder wirkt,
Und eines Weltalls nie erschöpfte Kraft
In dies Gefäß, so schwach und lieblich, birgt.
Flach, wie die stille See, ist noch die Brust:
Da plätschert noch kein Wellenschlag der Lust,
Da türmt noch keine Woge wilder Schmerz;
Wie eine Uhr schlägt noch das künft'ge Herz.
Bald aber wird des Menschengeistes Macht
Das irdene Gefäß gewaltig dehnen,
Und überwallend wird ein mächtig Sehnen
Zu Rande steigen aus der engen Nacht,
Die Kräfte, die im Innern tosend ringen,
wie Quellen, eh' sie aus dem Felsen springen,
Die werden jubelnd in die Freiheit dringen
Und um die Welt die Liebesarme schlingen.
Die zuckenden Gedanken, welche noch
Durch dieses junge Haupt, wie Irrwischflammen,
In wirren Kreisen hin und wieder rennen,
Die werden bald als helle Lichter brennen;
Dann schlagen sie in einen Brand zusammen,
Der sengend überklettert jedes Joch,
Der von der Freiheit frischem Hauch getürmet,
Ernähret von der Lebensluft der Wahrheit,
Mit glüh'nden Spitzen in den Himmel stürmet
Und flackernd schwebet in der ew'gen Klarheit. –
Ja, Kind, mein Kind! so vieles schläft in dir!
O möge von den Wünschen, welche hier
Aufs Haupt dir, junge Menschenpflanze, rinnen
Wie Segensthau, dein Wachstum froh gedeihn!
O möge dich das Schicksal liebgewinnen
Und dir ein guter, treuer Gärtner sein!
Es knicke deine jungen Triebe nicht
Und lasse sie in freie Lüfte ranken —
Ein Baum, ein Geist, die Blumen, die Gedanken,
Die brauchen, wenn sie freudig wachsen sollen
Und hoch sich heben aus der Erde Schollen,
Vor allem Luft und Licht!


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 401-402 .
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