Ludwig Pfau (1821-1894)

Börne in Paris.

1846.

Hier ruht die weite Stadt zu meinen Füßen,
Gehüllt in Morgennebel, bleich und fahl,
Und dort ist meine Heimat – laß dich grüßen,
Du alte Stätte meiner Lust und Qual!
Sieh! plötzlich kommt die Sonne aufgestiegen,
Die hat zum Gruß mein Deutschland mir gesandt,
Des Berge schon im Morgenschimmer liegen –
Denn wo die Sonne aufgeht, ist mein Vaterland.

Fahr hin, du Grimm, der lang mit mir gerungen,
Du scheues Heimweh, ziehe bei mir ein!
Die alte Liebe hat mein Herz bezwungen:
O Mutter laß dein Kind mich wieder sein!
Hat auch der Bannfluch dieses Haupt getroffen,
Weit durch die Lüfte reich' ich dir die Hand;
Mein Glaube wächst aufs neue und mein Hoffen –
Denn wo die Sonne aufgeht, ist mein Vaterland.

[st auch auf deinem weiten Feld der Schmerzen
Für meine Freiheit nicht der kleinste Platz,
trägt doch manch deutscher Mann im tiefsten Herzen
Das edle Gut als seinen besten Schatz.
Dies müde Herz, es ist wohl bald gebrochen,
Ich sterbe hier, verlassen und verbannt;
Doch an mein Grab wird einst die Freiheit pochen –
Denn wo die Sonne aufgeht, ist mein Vaterland.

Du teures Land, um das ich Weh gelitten,
Du teures Volk, für das mein Herzblut floß,
Nicht fruchtlos hab' ich deinen Streit gestritten:
Still reist die hohe Kraft in deinem Schoß,
Es kommt der Tag, wo deine Fesseln fallen,
Und du dich gürtest mit der Einheit Band;
Dann wirst du ragen frei und groß vor allen –
Denn wo die Sonne aufgeht, ist mein Vaterland.

Leb wohl, mein Land! ich muß hinuntersteigen,
Zur neuen Heimat kehrt der deutsche Gast;
Doch wenn sie unten höhnend auf dich zeigen,
Weil du manch treues Herz verstoßen hast –
Dann sprech' ich, deutend nach des Ostens Toren,
Den Blick der Mörgenröte zugewandt:
Dort wird das heil'ge Licht zur Welt geboren
Und wo die Sonne aufgeht, ist mein Vaterland.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 301-302 .
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