Ludwig Pfau (1821-1894)

Hier liegt ein Spielmann begraben.

Kommt einer von einem guten Glas
und stolpert wo im langen Gras,
Sagt man im Lande Schwaben:
»Hier liegt ein Spielmann begraben.«

Geht solch ein Wort in Volkes Mund,
So hat es seinen guten Grund;
Und wollt ihr mich schön drum fragen,
Will ich die Mär' euch sagen.

Es war ein schwäbisches Geigerlein,
Das fiedelte brav, jahraus, jahrein,
Und hörte nur auf zu hetzen,
Um seine Gurgel zu netzen.

Ihm deucht', wär' nicht sein Kling und Klang,
Die ganze Welt käm' aus dem Gang.
Nichts war ihm wie lahme Glieder
Und trockner Mund zuwider.

Doch als die letzte Ölung kam,
Der Doktor ihm das Weinglas nahm,
Der Pfarrer nahm ihm die Geige,
Daß er bete, sterb' und schweige.

Herr! was den Geiger das verdroß!
Und vollends in dem Grabesschoß,
Wo alle Glieder stocken,
Da war's ihm viel zu trocken.

Solch Spielmann ist ein arger Wicht,
Der Tod selbst macht ganz tot ihn nicht;
Und in der engen Truhe
Gab der Geiger noch keine Ruhe.

Und kamst du mit ruhigem Schritt einher,
Erwachte der Zorn des Geigers sehr;
Er zupfte dich mit den Krallen,
Da galt's hüpfen oder fallen,

Und kamst du von einem edlen Naß,
Erwachte der Neid des Geigers baß;
Er zog dich an den Füßen,
Dich um den Wein zu büßen.

Der Geiger gab es vor Zeiten mehr;
Doch die heutigen han keine Spielmann sehr':
Woll'n wohl das Glas noch führen,
Doch nimmer den Bogen rühren.

Die fiedeln nicht mehr von Herzen ganz,
Der kürzste ist ihnen der liebste Tanz;
Nichts ist ihnen so zuwider
Wie unermüdliche Glieder.

Drum sind ihre Gräber jetzt ohne Gefahr;
Doch stolperst du wo und purzelst gar,
So sagt man noch heute in Schwaben:
"Hier liegt ein Spielmann begraben."


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 218-219.
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