Ludwig Pfau (1821-1894)

Der rechte Bote.

Einst ging ich vor der Sonne Haus,
Frau Sonne sah zum Fenster heraus.
Ach liebe Frau Sonne! im himmlischen Saal,
Da siehst du ja weit über Berg und Thal,
So grüß mir mein Liebchen viel tausendmal.

»Mein Sohn, ich hab’ zum Grüßen nicht Zeit,
Muß heute noch schleppen gar manches Scheit:
Muß fleißig schüren den Sonnenschein
Und wärmen die Blumen und Vögelein;
Muß heut’ noch im Felde backen viel Brot
Und kochen am Berge viel Trauben rot.
Geh du zu meinem Manne, dem Mond,
Der gleich dort hinter dem Berge wohnt,
Der ist das Seufzen der Liebe gewohnt.«

Da ging ich zum Monde, der schlief noch fest,
Die Zipfelmütze sah aus dem Nest.
O bester Herr Mond! auf Lust und Qual
Schaust ja du herab über Berg und Thal,
So grüß mir mein Liebchen viel tausendmal.

»Du Springinsfeld! ist jetzt Grüßenszeit?
Man guckt im Kalender, bevor man schreit;
Ich muß ja noch schlafen drei Stunden lang,
Bin müde genug vom letzten Gang.
Auch hast du wie oft! verwünscht meinen Schein,
Wenn du geschlichen zur Liebsten dein –
Nun wirbst du gar zum Boten mich?
Troll zu den Kindern, den Sternen, dich!
Die sind viel besser zu Fuß als ich.«

Da ging ich zu der Sternlein Schar,
Die hatten Äuglein so fromm und klar.
Ihr goldnen Sternlein ohne Zahl!
Ihr blicket ja rings über Berg und Thal,
So grüßt mir mein Liebchen viel tausendmal.

»Ach Kind! Wir haben zum Grüßen nicht Zeit,
Der Weg ist gar lang in die Ewigkeit.
Wir weben und wirken die ganze Nacht
Ins Kleid des Himmels viel güldne Pracht.
Dort glänzt wohl der freundliche Abendstern,
Der winket und blinket zur Erde so gern,
Doch geht er schon unter im himmlischen Meer;
Da bitte du lieber das wolkige Heer,
Das pflegt mit der Erde so manchen Verkehr.«

Da ging ich vor der Wolken Thor,
Viel silberne Schäflein kamen hervor.
Ihr lieben Schäflein silberfahl!
Ihr weidet ja hoch über Berg und Thal,
So grüßt mir mein Liebchen viel tausendmal.

»O Schatz! wir haben zum Grüßen nicht Zeit,
Wir müssen noch gießen heut weit und breit;
Auswinden die Röcklein, von Regen schwer,
Auf Wälder und Felder, die betteln sehr.
Auch ist dein Lieb gar ein einfältig Kind,
Das steckt sich unter die Decke geschwind,
Hört es der Wolken erdröhnendes Wort;
Du sagst es besser den Winden dort,
Die sind die Herrn, die treiben uns fort.«

Und bei den Winden war ich bald,
Die faßten mich an mit wilder Gewalt.
O Winde! o weht mir das Haupt nicht kahl!
Ihr fahrt ja dahin über Berg und Thal,
So grüßt mir mein Liebchen viel tausendmal.

»Ei Junge! wir haben zum Grüßen nicht Zeit,
Wir geben der rollenden Welt das Geleit;
Wir suchen ihr Ende viel tausend Jahr’,
Und ist uns noch immer nicht offenbar.
Jetzt sausen wir dort, jetzt brausen wir hier,
Ein ewiges Wanderlied singen wir.
Geh nur und sprich mit dem Flusse geschwind,
Der hat’s nicht so eilig als wie der Wind,
Drin badet vielleicht dein holdes Kind.«

Da ging ich weiter und kam zum Quell,
Der rauschte vom Berge so silberhell;
Du schöner Strom! dein heller Strahl,
Der wandert durch meiner Liebsten Thal,
So grüß mir die Süße viel tausendmal.

»Mein Bürschlein, ich habe zum Grüßen nicht Zeit,
Bis an das Meer ist’s noch weit, noch weit!
Muß rinnen und rennen bei Tag und bei Nacht,
Dahin zu der blauen ergossenen Pracht,
Und bringen auf lieblich gewundener Bahn
Die Schiffe dem Vater, dem Ozean.
Doch wollen dir Sonn- und Mondenschein
Und Wolken und Winde nicht Boten sein,
So mach dich selber auf die Bein’.«

Da ging ich selber vor Liebchens Haus,
Feins Liebchen, so schau doch zum Fenster heraus!
Ich komme so weit über Berg und Thal,
Will dich grüßen und küssen viel tausendmal.
Das war die beste Botenwahl.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 143-144.
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