Ludwig Pfau (1821-1894)

Weinlied im Winter.

Zur Winterszeit ein edler Wein,
Der schlürft sich ein gar wonnig;
Kaum glänzt im Glas der goldne Schein,
Wie wird uns schon so sonnig!
Uns deucht, der Frühling fährt durchs Land,
Das ist ein Blühn und Leben!
Und lustig an der Berge Wand
Erwachen schon die Reben.

Am zweiten Glase sind wir bald,
Das schärft uns noch die Sinne:
Jezt hören wir im grünen Wald
Der Vögel Sang und Minne.
Was weht uns doch mit einem Mal
So lieblich ums Gemüte?
Ha! Düfte schickt von Berg zu Thal
Die edle Traubenblüte.

O dritter Schluck! o heil'ger Saft!
Wie unsre Herzen schwellen!
Wir spüren schon des Sommers Kraft
Durchs Mark der Rebe quellen.
Du Kind der Sonne! all die Glut,
Die du einst eingetrunken,
Die sprühet schon durch unser Blut
In hellen Feuerfunken.

Hurra! nun sind’s der Gläser vier,
Jetzt reifen schon die Trauben;
Auf hohen Bergen sitzen wir
In weinbekränzten Lauben.
Die Nacht erklingt von Jubelsang,
Die Fackeln ziehn und wallen,
Und dröhnend das Gebirg entlang
Die lauten Schüsse knallen.

Und fünf und sechs – wie durch die Luft
Jetzt die Raketen sausen!
Wie in den Keltern, schon voll Duft,
Die neuen Weine brausen!
Und Glas um Glas – wer wird sich hier
Noch lang mit Ziffern quälen?
Es ist ja Herbst, da können wir
Die Gläser nimmer zählen.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 153-154.
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