Ludwig Pfau (1821-1894)

Dichtung und Wahrheit.

Jetzt, deucht mir, ist es ausgesungen,
Seitdem dich ganz mein Arm umflicht;
Die Lippen, die im Kuß verschlungen,
Die haben Zeit zum Singen nicht.

Was soll ich dir von Liebe singen,
Wenn Aug' dem Aug' so deutlich spricht?
Was soll das Lied mir? Das hat Schwingen,
Und ich will in die Ferne nicht.

Du blühst ja in lebend'ger Schöne
An meiner Brust so wahr und schlicht:
Und fänd' ich auch die reinsten Töne,
Ich fügte doch kein solch Gedicht.

Nichts braucht's, als dir die Hand zu geben
Und dir zu schaun ins Angesicht -
Seit das Gedicht uns ward zum Leben,
Wird uns das Leben zum Gedicht.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 30.
Alle Rechte dieser Edition vorbehalten! © 1997-2012 by Günther Emig.
Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..