Ludwig Pfau (1821-1894)

Neue Trennung.

Noch einmal laß an deine Brust mich sinken!
Noch einmal laß an meine Brust dich fallen!
Laß deine Locken aufs Gesicht mir wallen
Und mir die Tränen von der Wange trinken;
Laß deine Augen, deine treuen, braunen,
Die kinderhaft aus ihren Wimpern staunen,
Noch einmal tief in meine Augen dringen,
Daß die Gefühle sich wie Wellen türmen,
Daß alle Saiten meiner Seele schwingen
Von Wonneschmerzen, die in ihnen stürmen.

Genug - halt ein! daß deine Zauberaugen
Sich tiefer nicht in meine Seele saugen,
Nicht länger mehr kann ich dein Auge tragen,
Wie’s Kind die Mutter will es meines fragen:
Wie oft, wie oft noch solch ein schmerzlich Scheiden?
Muß, was sich ewig liebt, sich ewig meiden?
Und welche Antwort hab’ ich ihm zu sagen?

Genug - halt ein! umstricke mich nicht enger,
An meinem Busen ruh’ dein Haupt nicht länger!
Von seinem Kissen muß ich auf es jagen,
Von seiner Heimat immer wieder treiben
Muß ich dein teures Haupt in Flucht und Bann;
ich kann, mein Kind, ich darf nicht bei dir bleiben -
Die Welt ist groß, sieh, und ich bin ein Mann.

Die Welt ist groß, doch groß ist auch dein Herz;
Dein Herz, o Mädchen! ist ein tapfrer Held.
Du richtest auf dein bleiches Angesicht -
Wohl zuckt um deinen Mund der heiße Schmerz,
Der deine Brust zu wilden Wogen schwellt,
Doch deine Lippen, Starke, klagen nicht.
Aufs neu verstoßen in die weite Welt,
Ziehst Du von deiner Liebe still ergeben,
Einsam und fremd hinaus, du junges Leben!

Die Welt ist groß! - Sieh, wie durch Himmels Weiten
So traumhaft ferne jene goldnen Sterne
Auf unsichtbaren Wegen emsig schreiten.
Auf diesem großen Meere ohne Schranken,
Da ziehen auch die menschlichen Gedanken;
Sie wandeln rastlos, eine ew'ge Kette,
Und suchen mit den Sternen um die Wette
Durch Gottes Welt die Wege ohne Wanken.

Die Welt ist groß! - Sieh! Die gewölbte Erde,
Wie hier, auf seinem mächt’gen Feuerherde
Der Menschengeist sich Formen schmilzt und gießt,
Daß Bau um Bau stolz aus dem Grunde schießt,
Und neues Leben aus dem alten sprießt.
Wie tausend Keime sich im Lenze regen,
ist hier ein ew'ges Wachsen und Bewegen,
Und unsichtbare Geister Hände legen
Sich Hand in Hand zu einem großen Bunde:
"Es werde Licht"! - Rasch rinnet Stund' um Stunde,
Und jede ruft mir in das trunkne Ohr:
Das Leben eilt, tritt, junger Kämpfer, vor!
Ich habe meine Welt noch zu gewinnen,
Für dich und mich - Ade! ich muß von hinnen;
Der Dienst der Wahrheit ist ein strenges Los:
Ade, mein Lieb, ade! - die Welt ist groß.


Ludwig Pfau: Gedichte. 4., durchgesehene und vermehrte Auflage. Stuttgart: Bonz 1889. S. 24-25.
Alle Rechte dieser Edition vorbehalten! © 1997-2012 by Günther Emig.
Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..