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Ludwig Pfau

Robert Mayer


Das alte Sprichwort, daß der Prophet nichts gelte in seinem Vaterland, hat sich kaum jemals augenscheinlicher bewährt als bei  R o b e r t M a y e r ,  dem Entdecker des wichtigsten — man darf wohl sagen des wichtigsten der physikalischen Gesetze. Was Newton für die Schwerkraft, hat Mayer für die »Wärmekraft« gethan, indem er die kosmische Allgemeinheit und Unzerstörbarkeit auch dieser Energieform, sowie den innigen Zusammenhang der Zwillingsschwestern nachwiesen.

Robert MayerAm 25. November 1814 zu Heilbronn a. N. als der jüngste von den drei Söhnen eines wohlhabenden Apothekers geboren, besuchte Mayer das Gymnasium seiner Vaterstadt, später das Vorbereitungsseminar Schönthal und 1832 die Universität Tübingen, wo er sich dem Studium der Medizin widmete. Nachdem er 1838 als Doktor promovirt und sein Staatsexamen mit gutem Erfolge gemacht hatte, begab er sich 1839 über Paris nach Rotterdam, um als Schiffsarzt auf einem Ostindienfahrer eine Reise nach Java zu unternehmen. Hier, bei Gelegenheit reichlicher Aderlässe zur Bekämpfung einer akuten, unter der Schiffsmannschaft ausgebrochenen Lungenkrankheit, bemerkte der junge Arzt, daß das Venenblut in diesem südlichen Klima eine viel hellere Röthe als im nordischen zeige, und die Ergründung dieser Erscheinung führte zur Entdeckung des Gesetzes von der »Erhaltung der Kraft«.

Von seiner Reise zurückgekehrt, legte Mayer schon im Jahre 1842 die Grundgedanken seiner Anschauung in einem kurzen Aufsatz, »Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur«, in Liebigs »Annalen« nieder. Dieser ersten folgte seine zweite, bedeutendste Arbeit: »Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel«. Hatte Mayer schon seinen ersten Aufsatz nur mit Mühe untergebracht, so konnte er zur Veröffentlichung des zweiten weder eine Zeitschrift noch einen Verleger finden, so daß er ihn auf eigene Kosten drucken lassen mußte. Eine 1846 an die Pariser Akademie gesandte Abhandlung »Ueber die Erzeugung von Licht und Wärme der Sonne« blieb gleichfalls ohne Beachtung. Während aber die zünftige Wissenschaft die Arbeiten Mayers vollständig übersah, trat 1847 der Engländer Joule mit Versuchen über die Frage des Gleichwerths von Wärme und Arbeit auf, und Helmholtz erschien zu derselben Zeit mit einer Schrift »Ueber die Erhaltung der Kraft«. Vergeblich regte sich Mayer, um seinen zeitlichen Vorrang zu wahren; ja ein zu diesem Zwecke von ihm veröffentlichte Aufsatz hatte eine Zurechtweisung von seiten eines Tübinger Privatdocenten zur Folge, worin dieser den unzünftigen Forscher als einen unwissenden Dilettanten abkanzelte. Um aber das Maß voll zu machen, fand der Angegriffene nicht einmal eine Zeitschrift, die seine Vertheidigung aufgenommen hätte, und so verfiel der gequälte Mann, der zu dieser Zeit überdies zwei Kinder verloren hatte, einer Gehirnentzündung, während deren er sich in einem Fieberanfall ans dem Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock auf die Straße stürzte. Die Folge dieses Sturzes war eine Geisteskrankheit, von welcher er sich erst nach mehreren Jahren und nie vollständig erholte, wenn auch Perioden normalen Zustandes von Anfällen gestörter Hirnthätigkeit abwechselten.

Nach so vielen Anfechtungen sollte aber Mayer doch endlich die Genugthuung der Anerkennung erleben. In Deutschland hoben Schönbein und Liebig die Neuheit und Bedeutung seiner Anschauungen hervor; von durchschlagendem Erfolg aber war die Hilfeleistung des berühmten englischen Physikers Tyndall, welcher in einem Vortrag, den er während der Londoner Ausstellung von 1862 vor den wissenschaftlichen Größen aller Länder hielt, die Verdienste des deutschen Forschers anerkannte und endgültig feststellte, daß Mayer derjenige sei, welcher das Gesetz der Krafterhaltung zuerst entdeckt und nachgewiesen habe.

Aber worin besteht das Wesen dieses Gesetzes und die Wichtigkeit seiner Entdeckung? Solches auch dem in derartigen Gebieten minder bewanderten Leser mit kurzen und einfachen Worten klar zu machen, ist keine leichte Aufgabe. Sich aber bei einer Gelegenheit, wo der Leser offenbar ein Recht auf Beantwortung dieser Frage hat, sich um dieselbe herumzudrücken, wäre auch nicht rühmlich; so wollen wir denn versuchen, eine Antwort zu geben, die auch für die Leser dieses Familienblattes, welche nicht Fachleute sind, in den Hauptzügen verständlich bleibt.

Wenn wir die Welt ihrem allgemeinen Wesen nach betrachten, so sehen wir, daß sie eine unendliche Anhäufung unendlicher Wirkungen ist. Und dies ist im Grunde selbstverständlich, denn alles was ist, muß sein Dasein durch die Wirkung bekunden, und zwar durch die aktive, die es ausübt, und die passive, die es empfängt; beides bedingt sich, und ein Ding, das nicht wirkt, ist nicht. Wenn wir nun diese »Wirklichkeit« untersuchen, um zu sehen, was all den verschiedenen Formen der ursprünglichen Weltenergie gemeinsam ist, so finden wir die  B e w e g u n g .  Jede Wirkung läßt sich auf Bewegung zurückführen, ohne Bewegung ist jede Wirkung unmöglich; denn Bewegung nennen wir die Thätigkeit der Materie, wodurch sich die Theile derselben einander nähern oder von einander entfernen — was sich gegenseitig bedingt — und so zu besondern Körpern sich abscheiden und verbinden. Jede Wirkung aber ist Umwandlung, und jede Umwandlung wird, indem sie fortgesetzt Arbeit auf Arbeit häuft, nothwendig Entwickelung, d. h. eine von unvollkommeneren zu vollkommeneren Bildungen fortschreitende Umwandlung.

Nun ist aber des weiteren die Bewegung naturgemäß eine zweifache; sie kann innerlich, zwischen den einzelnen Theilen eines zusammenhängenden Körpers, oder äußerlich, zwischen verschiedenen, räumlich getrennten Körpern vor sich gehen und sich sowohl als Bewegung der Atome wie als Gravitation der Weltkörper kundgeben. Die äußerliche Bewegung heißen wir Schwere, und die innerliche — mit den verwandten Erscheinungen des Lichts, der Electricität und des Magnetismus — heißen wir Wärme. Die Verwandtschaft der beiden Bewegungsformen geht schon daraus hervor, daß sich bei der Schwere um ein Anziehen und Abstoßen, bei der Wärme um ein Ausdehnen und Einschrumpfen handelt, was im Grunde derselbe Prozeß ist, nur daß die Wärme sich mehr qualitativer und chemischer, die Schwere sich mehr quantitativer und mechanischer Natur erweist, und bei ersterer die ausdehnende, bei letzterer der zusammenziehende Faktor der vorwiegende ist.

Auf der Wechselwirkung dieser beiden Gegensätze beruht die ganze Weltexistenz; denn ohne Abstoßung müßte alle Materie auf einen Klumpen zusammenstürzen, und ohne Anziehung müßte sie sich im Unendlichen auflösen. Mit andern Worten: die Energie müßte sich erschöpfen, wenn sie sich durch den Uebergang der Bewegung von der einen Form in die andere nicht immer wieder herstellen könnte. Der Meteorstein z. B., der auf die Erde gefallen ist, hat, obschon er sich nicht mehr weiter bewegen kann, seine Schwere nicht verloren, denn die Erde ist um sein Gewicht schwerer geworden; aber gleichwohl ist dieses nun als Einzelwirkung gleich null, weil es von der Erde absorbirt wurde. Um die Schwere des Steins wieder wirksam zu machen, muß man ihn heben und fallen lassen. Diese Hebung aber, die wir mit Menschen- oder Pferdekraft oder auch vermittels einer Dampfmaschine bewerkstelligen können, ist nichts als eine mit Hilfe der Wärmekraft herbeigeführte Aufhebung der Schwerkraft; denn Mensch oder Pferd stellen in diesem Falle nur eine Art organischer Dampfmaschine vor, bei welcher die Wärme statt durch die Kohle durch den Verbrennungsprozeß im Blute erzeugt wird. Die durch Hebung des Steins gewonnene Schwerkraft kann nun aber durch mechanische Mittel wieder in Wärme zurückverwandelt werden, und diese Ueberführung der einen Kraft in die andere heißt Arbeit. Wärme und Schwere sind im Grunde nichts anderes als der negative und der positive Pol der Bewegung. Die wesentliche Einheit dieser beiden sich gegenseitig bedingenden Energieformen (welche die Angeln des Weltalls bilden, und die Ueberführbarkeit der einen Form in die andere (ohne welche alle Entwickelung unmöglich wäre) nicht nur begriffen, sondern auch durch das Experiment nachgewiesen zu haben, ist die unsterbliche That Robert Mayers.

Vergeblich suchte Joule seine Urheberansprüche auf den Umstand zu stützen, daß er zuerst die richtige Verhältnißzahl des mechanischen Wärmeäquivalents festgestellt habe. Wenn man nämlich ein Gewicht von l Kilogramm auf die Höhe von 1 Meter hebt, so nennt man das eine Arbeit von 1 Meterkilogramm, und die Wärme, deren man bedarf, um 1 Liter Wasser von 0 auf 1° C. zu bringen, heißt eine Wärmeeinheit oder Calorie; es fragte sich nun, wie viel Meterkilogramm Arbeit einer Wärmeeinheit entsprechen. Mayer, dem es an einem brauchbaren Apparat fehlte und der sich mit den primitivsten Hilfsmitteln behelfen mußte, berechnete, daß zur Erzeugung einer Calorie die Arbeit von 365 Meterkilogramm nöthig sei, während später Joule die Zahl 424 als die richtigere feststellte. Selbstverständlich aber ist die Richtigstellung dieser Zahl nur eine Frage längerer Versuche und besserer Instrumente und hat mit der Entdeckung des Prinzips selber nichts zu thun. Robert Mayer vielmehr, indem er zeigte, daß ein bestimmtes Maß Wärme ein bestimmtes Maß Hebekraft erzeugt, und daß diese Hebekraft das zu ihrer Erzeugung verbrauchte Maß Wärme wieder herstellt, und so fort ins Unendliche, begründete das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, vermöge dessen die Energie der Welt ebenso ewig dieselbe bleibt, wie ihre unzerstörbare Materie niemals in ein Atom verringert werden kann. Dieses Gesetz hat eine Wichtigkeit, welche wohl kaum von irgend einer der bisherigen Entdeckungen erreicht wurde und sicherlich von keiner künftigen übertroffen wird, weil es den Grundstein der ganzen Erklärung für die in der Welt wirkenden Kräfte bildet und, als der Haupt- und Schlußstein der Kette, die übrigen Glieder des Naturgesetzes zu einem geschlossenen Ganzen zusammenfaßt.

Robert Mayer ist am 20. März 1878 in Heilbronn gestorben. Es fehlt ihm heute nicht am gebührenden Nachruhm; vor dem Gebäude der technischen Hochschule zu Stuttgart steht seine Büste und seine Vaterstadt Heilbronn rüstet sich, ihm ebenfalls ein Denkmal zu errichten. Der Entwurf desselben ist vollendet, die Ausführung desselben in der Form, wie unser Bild ihn zeigt, wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die allgemein als glücklich anerkannte Lösung der Aufgabe ist wohl —neben der charakteristischen und lebendigen Auffassung der Hauptfigur und den ebenso natürlich als anmuthig bewegten Linien der Nebenfiguren — dem Umstand zuzuschreiben, daß hier die zu Grunde liegende Idee zu bildlichem Ausdruck kommt, ohne daß die Kunst aus ihrem eigentlichen Bereich zu treten und die Abwege abstrakter Allegorie zu beschreiten genöthigt wird. Die beiden Kinder mit Flamme und Gewicht bringen den Inhalt der Mayerschen Entdeckung durch eine Handlung zur Anschauung, welche dieselben keineswegs den Grenzen des kindlichen Alters und Lebens entrückt. So bleiben sie Kinder, poetische Symbole, und werden nicht allegorischen Masken gleich jenen dekorativen Kinderfiguren, die mit Abzeichen ausstaffirt und zu Handlungen verwendet werden, wie sie sich nur für Erwachsene eignen.

Im übrigen ist das vorliegende Ergebniß wohl auch dem Umstand zu danken, daß sich hier Kunstkritiker, Bildhauer und Architekt zu gemeinschaftlicher Schöpfung vereinigten. Gewöhnlich kommt die Kritik erst zum Wort, wenn das Kunstgebilde fertig und nichts mehr daran zu ändern ist; hier aber betheiligte sie sich beim Werden desselben, um als verbindendes Glied die darzustellende Idee durch die harmonische Uebereinstimmung von Skulptur und Architektur zu ungetrübter ästhetischer Wirkung zu bringen.


Aus: Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt. 39. 1891. Nr. 15, S. 248-250
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