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Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 23. 12. 1866
Adressat: Ludwig Pfau


Rechenberg, den 23. December 1866.

Lieber Pfau. Mehrere Wochen war ich in Folge von Schnupfen und Katarrh so körperlich und geistig verstimmt, dass ich nicht fähig war auch nur eine Zeile zu Stande zu bringen. Jetzt geht es mir etwas besser und ich ergreife daher die Feder, um vor Allem Ihnen zu danken für die Fülle von Belehrung und Erheiterung, Bestätigungen und Berichtigungen, die mir Ihre grossartige, universelle, reformatorische Auffassung und Behandlung der Kunst gewährt hat. Was mir fast nie während der Lectüre begegnet, dass ich dem Verfasser gleich auf der Stelle mündlich, persönlich meine Freude und Dankbarkeit ausdrücken möchte, das ist mir unzählige Male beim Lesen ihrer „freien“, nicht nur dem Namen, sondern auch der That nach freien Studien begegnet. Aber auch fragen hätte Sie oftmals mögen, namentlich da, wo Sie von der Baukunst handeln und ich begriffliche Ausdrücke nicht immer durch entsprechende Anschauung versinnlichen und mir folglich erklären konnte. Doch Sie kommen ja wieder, hoffentlich bald, hierher und dann n kann ich diese meine ungeduldigen apriorischen sensualistischen Gelüste auf allein zureichende, raum- und zeitgemässe Weise befriedigen. Ihren „Onkel“ habe ich noch nicht gelesen, meine Tochter ist aber so entzückt davon, dass sie mir deshalb schon förmliche Vorwürfe gemacht. Aber es lag mir vor Allem daran Sie selbst, Ihr eigenes producirendes Wesen näher kennen zu lernen. Ich habe aus dieser näheren Bekanntschaft die freudige, ermuthigende Ueberzeugung gewonnen, dass Ihre Thätigkeit die wesentliche adäquate Ergänzung meiner eigenen ist, dass Sie auf dem Gebiete der Kunst sind und leisten, was ich auf dem Gebiete der Religion und Philosophie im engeren Sinn.

Was übrigens meine noch zukünftige Thätigkeit betrifft, so kann ich sie in keine neue Bahnen mehr einlenken, also auch nicht den Weg betreten, die Sie mir, wenn auch in wohlwollendster Absicht, vorschlagen. Ich muss in dem alten Geleise, bei der alten Firma sämmtliche Werke so und sovielster Band bleiben; ich kann mich auf nichts Weiteres mehr einlassen, als auf weitere Entwicklungen, Ausführungen, Bestätigungen bereits – wenn auch nur ganz kurz und nebenbei – ausgesprochener Gedanken und zwar in bisheriger Weise. Vielleicht benutze ich zum nächsten Ausgangspunkt für die Fortsetzung meiner Willensuntersuchungen die bisher über meine neueste Schrift mir von meinem Verleger zugeschickten grenzenlos oberflächlichen und liederlichen Beurtheilungen, wovon die eine sogar meine mit der ehrlichen alten Logik im besten Einklang stehende Identificationen von der Erhaltung des Lebens solange und wiefern es ein Gut und die Vernichtung desselben wenn es ein Uebel, auf die Hegel’sche Dialektik von der Einheit des Seins und Nichtseins zurückführt.

Weil ich gerade bei mir stehe, so bemerke ich, dass der Ausdruck „der Pantheismus ist ein verschämter Atheismus“, den Sie in Ihrem trefflichen Artikel über Proudhon anführen, nicht von mir ist, sondern, wahrscheinlich, wie Sie selbst vermuthen, von Heine, jedenfalls von einem Poeten. In meinen Grundsätzen der Philosophie von 1843 heisst es vom Pantheismus: er ist der theologische Atheismus, die Negation der Theologie selbst auf dem Standpunkte der Theologie. Ob ich freilich irgendwo anders ihn einen verhüllten, verschleierten Atheismus – von der Verhüllung ist aber nicht weit bis zur Scham – oder dergleichen nenne, darüber habe ich mir selbst noch nicht Gewissheit verschafft.

Meine Frau und Tochter lassen sich bestens empfehlen. Vor einigen Wochen, fast gleichzeitig mit Ihren Werken, überraschte mich und die Meinigen zu unserer grössten Freude mein Neveu Anselm, aus Rom kommend, den ich seit siebzehn Jahren nicht mehr gesehen. Er will das nächste Frühjahr Rom mit Berlin, wenigstens für einige Zeit, vertauschen.

In der Hoffnung Sie bald wieder zu sehen und zwar dann in bester Gesundheit

Ihr hochachtungsvoll ergebener L. Feuerbach


Aus: Ausgewählte Briefe von und an Ludwig Feuerbach. Hrsg. Von Wilhelm Bolin. Bd. 2. Leipzig 1904, S. 332-334.
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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