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Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 5. 11. 1859
Adressat: Karl Mayer


Paris 5. Nov. 1859

47 Rue Descartes

Lieber Mayer!

Es ist schön von euch, dass ihr an mich denkt, aber mit Mittheilung des Näheren hättet ihr anfangen sollen, da davon hauptsächlich ein derartiger Entschluss abhängen muss.

1.) Wie alt sind die Kinder, die man zu unterrichten hat?

2.) Ist der Unterricht in Litteratur zugleich ein philologischer?

3.) Wie viel trägt die Stelle?

Ich wäre im Allgemeinen nicht abgeneigt, in eine Lehrstelle einzutreten, denn es wird mir schliesslich wohl nichts Anderes übrig bleiben, wenn ich das Zigeunerleben aufgeben und ein ordentlicher Bürger werden will. Aber die Stelle müsste freilich so beschaffen sein, dass sie wenigstens einigermassen als endliches Ziel gelten könnte; denn um aus dem alten Provisorium in ein neues zu fallen, das verlohnte sich nicht der Mühe.

Als alter Esel noch einmal anfangen, den Kinderschul meister zu machen, das hat wenig Lockendes, besonders für Einen der die Handgriffe des Metiers nicht kennt. Nebenbei habe ich eine jener unglücklichen Organisationen, welchen die angestrengteste Thätigkeit nie zuwider ist, sobald sie Befriedigung für Geist und Herz gewährt, die aber selbst der Hunger nicht zu Fortsetzung eines widerstrebenden Berufs treiben kann. Dazu kommt ein gewisser Poetenkrattel. Auf eigene Faust einen Zündholzhandel zu treiben, wenn er Geld einbringt, das würde mir nicht das Geringste ausmachen, denn dabei ist man immer noch auf sich selbst gestellt, und das Leben bleibt flüssig. Aber ein Amt mit Vorgesetzten, mit der ganzen bestimmten Einzirkung und flügelbeschneidenden Verantwortlichkeit, das muss wenigstens so beschaffen sein, dass es Einem durch seine Bedeutung und seinen Wirkungskreis Freude machen kann.

Wenn die Stelle in einem deutschen Canton wäre, würde ich vielleicht ohne weiteres Fragen zugreifen. Aber ich bin der Meinung, dass die Zweizüngigkeit einem ehrlichen Menschen unmöglich ist und jedenfalls habe ich einen so engen Bund mit meiner Muttersprache geschlossen, dass mir die französische darüber grollt. Ich habe es in meinem ganzen Leben nicht dahin bringen können, ortographisch richtig Französisch zu schreiben. Hundertmal habe ich mir schon die weiblichen e der Participien erklären lassen und hundertmal habe ichs wiederver gessen. Wenn ich also den Schülern ihren französischen Aufsätze corrigiren müsste, so möchte es nicht ganz grammatikalisch hergehn und ich hätte gewiss mehr Angst als die Schüler.

Endlich fängt es an, mir etwas wohnlicher hier zu werden. Der Pfau ist ein ungeschickter Vogel, aber nach und nach habe ich mir doch ein Nest zusammengetragen, das zwar noch nicht mit Flaumfedern ausgepolstert ist, das aber doch anfängt Schutz gegen Wind und Regen zu gewähren, und es wird mir etwas hart, das Alles zu verlassen, obwohl mir eure Anwesenheit in Neuchâtel diese Schmerzen bedeutend erleichtern würde.

So stehts. Wenn ich eine Zeitlang in Neuchâtel gelebt und eine klare Vorstellung von der Sachlage hätte, würde ich Dir gleich mit ja oder nein antowrten; so kannst Du dies aber noch einen Brief kosten lassen. Wenns auch diesmal nichts werden sollte, so zeigt sich vielleicht später etwas Besseres. Ihr müsst doch einen größere Anstalt in Neuchâtel haben, eine Art Gymnasium oder Polytechnikum, wo eine Stelle für gewerbliche Kunstgeschichte vielleicht verbunden mit deutscher Literatur nöthig ist. Ich habe mich seit längerer Zeit speziell mit Kunstgeschichte namentlich in gewerblicher Beziehung befasst, und das ist doch in einem industriellen Lande nicht bedeutungslos. Hier wäre ein ganz neuer Lehrzweig zu gründen; denn wenn ihr auch vorzugsweise Uhren fabricirt, so ist auch hiefür der Geschmack nicht nöthig und der Geschmack lässt sich nicht an einem Artikel bilden sondern nur durch Uebersicht der ganzen kunstgewerblichen Thätigkeit. Ich habe in dieser Richtung Aufsätze in die salva venia „Stimmen der Zeit“ geschrieben, wie sicherlich über diese Materie noch nie welche geschrieben wurden - nicht etwa weil ich die Weisheit allein gefressen habe, sondern weil dieses Feld noch ein unbebautes ist. Wenn man mit Mitteln unterstützt würde könnte man zugleich eine Sammlung grossartiger Zeichnungen aus allen Gewerben und Stylperioden sammeln, die den theoretischen Unterricht praktisch erläutern und zugleich durch das Auge bildend wirken würden. Dies überlegt euch einmal und sucht in dieser Richtung zu wirken. Ich wollte in einigen Jahren einen derartigen Lehrstuhl so herrichten, dass die übrigen Schweizer nach Neuchâtel kommen müssten um dort zu lernen. Die Medaillen sollen morgen oder übermorgen fertig werden, so dass es also noch reichen wird falls die grande vitesse ihre Schuldigkeit thut. Macht euch lustig. Grüsse Deine Familie und Hirsch u. sei bestens gegrüsst von Deinem LPfau

Die Medaillen gehen Dienstag früh von hier ab und kommen so mit Donnerstag bei Ihnen an, wenn sie Ihnen nicht überbracht werden sollten, so haben Sie die Güte danach zu schicken.
Ihr Sie hochachtender
Eckhardt.


Historisches Institut der Universität Bern
Sign.: Flüchtlingsschrank, Slg. Näf
Original: Zentrales Staatsarchiv Potsdam
Sign.: NL Karl Mayer 90 Ma 3 P 12, Bl. 30-31
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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