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Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 23. 9. 1858
Adressat: Ludwig Pfau


Rolandseck d. 23. Sept. 58

Liebwerthester!

Ihr Brief, den ich soeben erhalten, erfreut u. rührt mich. Erfreut, weil Sie so gute Augen, erfreut u. rührt, weil Sie einen so großen Mantel christlicher Liebe haben. Es fällt mir nicht ein, meinen Schändlichkeit u. jene Verleugnung der Exemplare zu leugnenM ich spare mit dergleichen für die lieben Weiblein, die einem hie u. da über den Weg laufen. Für einen Mannn ist so was nichts. Von Ihnen war es schlön, mit Zudringlichkeit ein Exemplar zu verlangenM von mir, es mit Schäöndlöichkeit zu verleugnen und nicht zu geben. – Was sind wir beide Elende, Verräther, aber edel! ... Was den Oncle Benjamin betrifft, so schicken Sie ihn nur einfach, unter Berufung auf mich an Herrn Dr. Otto, Redaction der Reichszheitung in Braunschweig u. beginnen Sie die Unterhandflungen ... Uebrigens kann ich Ihnen sagen, dajß ich in Deutschland schon mehr Leute als in Frankreich gefunden habe, die den Ocle kennen. Was kennt man in Deutschland nicht! Die französ. Liter. beßer als In Frankfreich. Die ausgestreute Bildung ist wirklich ungeheuer! ganz ungeheuer! Ich glaube nicht, dajß es jemals eine Nation gegeben hat – lächerlich das nur zu sagen, die – auch nur im Verhältniß zu Zeit, Ort, Gröjße ect. – eine so große Summe von Bildung beseßen hätte, wie die deutsche. Der comble aber ist die musikalische Bildung. Wo u. mit welcher Gesellschaft immer man singen will, es findet sich ein Chor zusammen, der mit vertheilten Stimmen singt u. ganz vortrefflich – wo etwas fehlt, ruft man die Kinder vom Pensum oder vom Hofe herbei u. sie stellen sich gleich hin u. singen mit u. füllen ihren Platz aus. So auch mit den Instrumenten. Etwas wie die Kölner Musikalische Gesellschaft ist noch nicht da gewesen. Jeden Sonnabend kommt da ein großes Orchester zusammen, immer aus anderen Dilettanten, immer neu zusamengesetzt, wie es der Zufall will, wie er sie in die Kneipe führt u. das Orchester stellt sich hin u. spielt die größten Sachen Ohne Vorbereitung. Manchmal mache ich dort das Programmm. Letzten Sonnabend ließ ich mir die Symph. in D v. Beeh(oven( u. die Ouverture zu Figaro aufspielen. – Gestern machte ich einen Wanderung ins Gebirge – die größte, seit ich vulkanisch, d. i hinend geworden, zu Karl Simrock, der da ein Landhaus oder vielmehr ein ländliches Haus hat. Zu meinem großen Mißvergnügen fand ich ihn mit drei schwarzen katholischen Pfaffen Caffé trinkend und etwas steif – so daß ich mir dachte: da machst du dich bald wieder fort. Aber die Steifheit war nur die bekannte germanische, auf die Simrock ein wohl erworbenes Recht hat, u. profeßorliche, temperée durch die Gegenwart einer sehr netten Tochter u. eines Töchterleins. Nach u. nach u. sehr schnell schmolz das Eis von Simrock u. die Pfaffen verweltlichten sich. Wir machten dann tief ins Gebirg hinein eine ganz herrliche Wanderung u. die Priester – darunter ein Prof. der Kirchengeshcichte – hupten u. sprangen wie schwarze Böckjlein und manifestirten sich in der Einsamkeit als gar angenehme Kerlchen. Beim Elfenborn hielten wir u. die drei Priester u. die zwei Mädchen stimmten einen herrlichen Gesang nach dem andern an – Weltliches u. Geistliches. Simrock u. ich, die wir zur zur Harfe zu singen verstehen, hörten sehr andächtig zu. Mit einem Male sagt das kleine Mädchen: Jetzt meinen Lieblingsgesang! – und was angen Sie an? Einen neugriechischen Chrous, zu Ehren Bozaris! und das kleine Mädel singt und spricht neugriechisch, daß es eine Schande ist. Erst bei sehr spätem Mondschein kamen wir am Rhein an. Simrock habe ich, glaube ich, ganz für mich gewonnen. Wir haben uns sehr gelehrt unterhalten u. er lud mich am Ende mit großer Herzlichkeit ein, sehr bald u. sehr oft wieder zu kommen. Mit den Theologen setzte ich über den Rhein, welchen Mondbeschienenen sie noch Lieder-wiederhallend machten – (C. M. Weber) u. dieseits des Rheins trennten wir wir usn als ganz gute Freunde u. boten einander Gastfreundschaft an: der eine ist aus Ostpreußen, der andere Prof. der Kirchengeshcichte in Breslau, der dritte Pfarrer in Bonn. Es war ein sonderbarer Tag. So hat hier jeder Tag für mich neue Farben u. neue Erfahrungen. Leider wird wohl die Herrlichkeit bald zu Ende sein, denn heute tröpfels u. in dieser Jahreszeit ist jeder Wechsel gefährlich. Ich bleibe hier sol lange es geht; wurd aber das Wetter schlecht u. habe ich meinen Verlangsangelegenheiten alle in Ordnung, eile ich nach Paris zurück, um den Winter hindurch riesig zu arbeiten und mit erstem Frühlingsstrahl wieder nach Deutschland zu fliegen! ... Ade! auf Wiedersehen! Schreiben Sie sofort hieher. – Es regnet! aus der Parthie nach der Abtei Heisterbach wird nichts! – ach Gott...


Briefe von Moritz Hartmann (1848-1870). Hrsg. von Rudolf Wolkan. Wien 1921, S. 82-85
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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