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Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 16. 7. 1862
Adressat: Ferdinand Hiller


Antwerpen den 16. Juli 1862
Adresse: bei Carl Strecker.
armateur au port.

Deinen Brief habe ich in Antwerpen erhalten, wo ich mich dermalen aufhalte. Den Tod Deiner Frau habe ich mit ebenso viel Staunen als schmerzlicher Theilnahme vernommen. Es ist schändlich, wie Dir das Schicksal mitspielt, und es muß noch was Rechtes mit Dir vorhaben, daß es Dich so malträtirt. Trostesworte sind eitel; der einzige Trost ist im Leben und Wirken. Übrigens bist Du ein Kerl, der wohl eine Thüre finden wird, die er zwischen sich und seinem Schmerz zuschlagen kann.

Was Deine Anfrage und Einladung betrifft, so bin ich wie immer zu Allem bereit. Ich will mit Vergnügen zu Dir an den Bodensee kommen, aber mit dem Reisegeld wirds happern. Du mußt nicht glauben, daß ich aufgehört habe, ein Lump zu sein, weil ich ein dickes Buch geschrieben. Das hat mir viel Anerkennung eingebracht von Hoch und Nieder, Alles, aber nur kein Geld. Ich stecke im Gegentheil in Brüssel mit meinem Hotel, und weiß noch nicht recht, wie ich loskomme. Doch das macht mir alles keinen Jammer, ich bin im Gegentheil zufrieden wie ein Millionär. Ich bin jetzt endlich mit meinem philosophischen System fertig, an dem ich mein Lebenlang in der Stille gearbeitet, u. habe Alles zu Faden geschlagen. Keine Formeln mehr, keine Floskeln, kein Absolutes und Schattenhaftes, lauter greifbares, erkennbares Leben. Ich habs durch alle Disciplinen durchgeführt und das paßt wie's Ein mal eins. Gedanke, Natur und Geschichte, Alles erklärt sich wie zwei mal zwei vier, u. die Welt liegt da wie ein Mittagssonnenschein. Ich sage Dir nur soviel, ich hab ein Buch im Kopfe und in seiner Disposition auf dem Papier, das mindestens soviel werth ist als die Thesen, welche Luther am 31. October 1516 an die Thüre der Augustinerkirche zu Wittenberg nagelte, einen vollständigen Abschluß der Philosophie. Du wirst zwar lachen, Mephisto, eins aber bitt ich mir aus, daß Du's aufsparst, bis das Buch fertig ist; hernach kannst Du sagen,was Du willst; vorher aber will ich keine Bezweiflung und Bekrittlung hören, denn ich muß selber dran glauben, um meine ganze Kraft beisammen zu behalten. (( ... ... )) !

Das System basirt nicht nicht auf ein Abstractum, ein Ideal, einen a priorischen Schemen, sondern auf die pralle Wirklichkeit, auf das Weltgesetz, das in der That besteht. Es heißt: Ein Modus: die Polarisation. Ein Prinzip: die Bewegung. Ein Prozeß: die Zeugung. Die ganze Welt ist Zeugung, und Alles, was geschieht, ein Zeugungsakt, das Denken so gut wie das Wirken. Die Idealität des Denkgesetztes im Hirn und des schaffenden Gesetzes in der Natur weise ich greifbar nach, so daß von keinem Zweifel mehr die Rede sein kann. Die abstrakten Begriffe sind ganz ausgemerzt u. alle auf einen einzigen des Nichts reduzirt, was Alles ist, das vom Absoluten übrig bleibt. Jeder Begriff, auch der abstrakteste, ist zugleich eine Wirklichkeit. Die Nothwendigkeit wird aus dem Mineral deduzirt, die Zufälligkeit aus der Pflanze, die Freiheit aus dem Thier, der Gedanke aus der Zellenernährung und die Wahrheit
aus der Gesellschaft. Das Alles erscheint ziemlich verwirrt, wenn mans so übereinander setzt ohne Verbindung, aber es ist immer ein u. dasselbe Gesetz, das zu Grunde liegt. Du  begreifst, was mir vor Allem am Herzen liegt, ist die Ausarbeitung meines Buches. Da übrigens die finanzielle Seite auch zu bedenken ist, so bin ich nichtsdestoweniger bereit zu einem Unternehmen, und um so mehr, wenn es mir Muße und Mittel gewähren kann. Dein Brief ist übrigens zu lakonisch, als daß ich mehr darüber sagen könnte. Schreibe mir also bald, daß die Sache in einer oder anderen Weise Hände und Füße bekommt.

Da ich Nick u. Nack hindere, dem Herrgott einen persönlichen Besuch zu machen, habe ich einen Doppelgänger hinaufgeschickt, der mir beifolgendes Protokoll mitbrachte. Möchte es zu Deiner Beruhigung dienen und Dich mit dem alten Herrgott etwas aussöhnen.

Bis auf weiteres herzliche Grüße von
Deinem L. Pfau


Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Best.: Q 1/2, Bü 278 (NL C. Haußmann)
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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