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Ludwig Pfau (1821-1894) · Briefedition


Datum: 22. 11. 1853
Adressat: Berthold Auerbach


Paris, den 22. Nov. 1853

Mein lieber Auerbach!

Du wirst Dich wundern, von einem Verschollenen wieder ein Lebenszeichen zu bekommen, den Du seit den schönen Zeiten von 48 aus den Augen - doch hoffentlich nicht ganz aus dem Gedächniß verloren hast. Dich mit meinen Flüchtlings-Irrfahrten zu langweilen, halte ich für unnöthig, da Du Phantasie genug hast, um das selber vorzustellen. Ich sage Dir deßhalb nur, daß ich mich bis zum Frühjahr 51 mit verschiedenen Schicksalsgenossen in der Schweiz umtrieb, oder vielmehr umgetrieben wurde, und der ewigen Haze müde, mich endlich nach
Paris durchstahl, wo ich in Verborgenheit lebe. Das Traurigste bei der Geschichte ist, daß man bei diesem zigeunerhaften Leben ohne andern Tag, mit dem Gefühl einer ewigen Unsicherheit, zu keiner vernünftigen Thätigkeit kommt, und, wenn man je sich einmal ein wenig Luft macht u. etwas zu Tage fördert, so außer allem Zusammenhang mit dem Vaterlande ist, daß man nicht weiß, wohin mit. Ich schleppe eine Masse von Entwürfen, angefangenen u. halbfertigen Dingen, durch meine Flüchtlingsjahre hin u. kann nirgends zu Athem kornmen, um es zu vollenden. - Die Luft ist so theuer in Paris!

In diesem Jammer hab ich nun schon oft gedacht, daß Du mir eine hülfreiche Hand bieten und mich wenigst ens wieder in einige Verbindung mit der Heimat bringen könntest. Einem Schriftsteller, der einen solchen literarischen Bereich hat, muß das ein Leichtes sein, u. Dein schwäbisches Herz wirst Du hoffentlich in Norddeutschland nicht verloren haben.

Ich komme hier nur mit einigen Deutschen, hauptsächlich mit Moritz Hartmann zusammen u. habe mit diesem gemeinschaftlich eine Sammlung bretonischer (celtischer) Volkslieder übersetzt, die zu dem Schönsten gehören, was die Volksliteratur aller Zeiten u. aller Völker hervorgebracht hat. Was die meistens ganz knappe u . künstlerische Form betrifft, übertreffen sie wohl alle übrigen, da die Traditionen der alten Barden in diesem eigens innigen celtischen Volke Jahrhunderte hindurch lebendig geblieben sind. Trotz des interessanten
Gegenstands, der mit besonderer Liebe und großem Fleiße gemachten metrischen Übersetzung, trotz des guten Namens, dessen Hartmann sich in Deutschland erfreut, haben wir diese Arbeit noch nicht an den Mann gebracht. Hartmann ist zu stolz, um viele Thüren aufzustoßen u. ich bin der ungeschickteste Mensch unter der Sonne in buchhändlerischen Geschäften.

Nebst dem habe ich eine Sammlung von Gedichten druckfertig. Du weißt, daß ich im Jahre 47 einen Band erscheinen ließ, der, obwohl er allerdings noch manches Unfertige und Reminiscenzenhafte enthielt, sich doch der einstimmigen Anmerkung von Kritikern wie Strauß und Vischer zu erfreuen hatte. Ich habe von diesem Bande nur ungefähr ein Drittheil beibehalten u. dieses zum Theil verbessert u. umgearbeitet, dazu kommt eine gute Anzahl neuerer Sachen, die einen etwas größeren Band als den ersten füllen würde. Ich, weiß, daß ich mit meinen Gedichten keine neue Saite auf die lyrische Leyer gezogen habe, das war auch meine Absicht nicht u . ich bin in der Poesie ziemlich conservativ. Aber ich weiß auch, daß sie ebenso viel werth sind, als manche neueren Sammlungen, die sich einen hübschen Leserkreis erobert haben. Meine erste Sammlung kam kurz vor der Revolution und wurde wie billig von derselben verschluckt. Die zweite fällt nun vielleicht dem Krieg vor die Füße und wird von diesem zertreten. Nimporte! Ich möchte die Geschichte vom Halse haben. Zu bemerken hab ich noch, daß ich alle politischen Gedichte im Hinblick auf die gegenwärtigen Verhältnisse wegließ. Vor kurzem lieB ich im deutschen Museum eine Anzahl Gedichte abdrucken. Nächstens werden wieder einige dort erscheinen, wo Du sie finden kannst, wenn Du willst.

Ich weiß, daß es mit Gedichten eine mißliche Sache ist u . daß die Verleger das Kreuz davor machen. Dessen ungeachtet kann es Dir nicht schwer werden, mir einen ordentlichen Verleger für die meinigen zu finden, da ich dieselben, wenn Du s ie nicht um Geld anbringen kannst, auch ohne Honorar hergebe, nur unter der Bedingung, daß sie elegant; allenfalls in einer Miniaturausgabe gedruckt werden, damit sie in dieser Beziehung mit den übrigen konkurieren können. Am liebsten wäre mir ein norddeutscher, besonders berliner Verleger.

Wenn Du uns die celtischen Volkslieder anbringen könntest, so wären wir Dir gleichfalls sehr dankbar, nur müßten diese ordentlich bezahlt werden. Man kann nicht immer um  Gotteswillen arbeiten.

Sonst habe ich eine Erzählung: Der Schulmeister von Neckargartach, ein Stoff, von dem ich Dir früher schon sagte u. der sehr dankbar ist. Ich habe die ganze Geschichte im Kopf fertig, u . wenn ich nur einige Rast finden kann, wird sie schnell vollendet sein.

Im übrigen habe ich mich in der Schweiz namentlich mit philosophischen u. naturwissenschaftlichen Studien beschäftigt und bin in dieser Beziehung zu Resultaten gekommen, die, wie ich hoffe, Dich einmal erfreuen werden, wenn ich das umfangreiche Material, das ich bis jetzt sammelte, zu einem Ganzen verschafft habe. Du siehst, Werg wäre genug an der Kunkel, wenn man nur Ruhe zum spinnen hätte.

Nun noch etwas. Ich habe eine Sehnsucht nach Deutschland, die mich beinahe auffrißt. Glaubst Du nicht, daß es möglich wäre, unerkannt oder unverfolgt in irgendeiner Stadt  Norddeutschlands zu leben? Gäb es gar kein Mittel? Du, der Du so glücklich bist, in Deutschland zu leben, mußt dieß besser beurtheilen können als wir, die wir nach u. nach alle Maßstäbe für die dortigen Verhältnisse verlieren. Gibt es denn keinen Ort, wo man im Nothfall wenigstens nur ausgewiesen statt ausgeliefert würde? Sieh Dich ein wenig um und
gib mir doch Nachricht hierüber.

Lebe nun wohl und mache es mit meinem Briefe nicht, wie es viele meine/r/ edlen Landsleute im Gebrauch haben, ihn in den Papierkorb werfen u. eine Cigarre dazu rauchen. Nimm Dich ernstlich meiner Angelegenheit an, dann kann sie nicht fehlen. Du würdest mir einen großen Dienst leisten. Schreibe mir über Couvert an die Addresse: H. Kübler restaurant, Rue Montmartre 68. Paris.

Herzliche GrüBe von Deinem
L. Pfau

/P.S./ Es ist schon lange her , daß Du mir einmal Deine Bücher versprachst. Ich möchte gar zu gern Deine meisten Sachen lesen u. finde hier schon Gelegenheit. Du könntest sie mir
wohl schicken.


Deutsches Literaturarchiv Marbach
Sign.: Archiv Auerbach
Nr.: Z 3472/3
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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