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Ludwig Pfau · Briefedition


Datum: [Mitte Okt., vor dem 24.] 1886
Adressat: Anna Spier


Montag Abend

Liebe Anna!

Da wär ich nun wieder in Stuttgart und laufe herum wie einer, der aus einem schönen Traum erwacht ist und sich in die Wirklichkeit noch nicht recht finden kann; und wenn der [Traumdisel] vollends verflogen ist, werd ich ein schönes Heimweh nach Dir haben. Es fängt schon an, je mehr es mir nach und nach klar wird, daß ich jetzt nicht mehr jeden Abend zu Dir laufen kann, um mit Dir zu plaudern, Du kleine Hexe, die mir, ehe ich michs versehe, den hintersten Gedanken aus dem Kopf zaubert, von denen, die im Herzen sitzen, gar nicht zu reden, denn die laufen von selber fort.

Es war Zeit, daß ich Dir entrann, denn sonst wären die armen »Maler und Bilder«, die der Reihe nach in ein paar dutzenden von Päckchen und Papiertäschchen stecken und längst ans Tageslicht wollen, ewig nicht erlöst worden. Diese Gesellschaft will mir jetzt, trotz all ihres ästhetischen Gebarens, gar nicht mehr munden, nachdem ich mich an die Deinige gewöhnt habe, darum sei so gut und hex mich ein wenig aus, daß ich mit dem Gesindel wieder zurecht komme.

Aber ich merk wohl, da hilft kein Bitten und Beten: Du siehst mich mit Deinen schwarzen Sphinxaugen an und lachst so selbstbewußt mit Deinem Munde aus Morgenland, der nicht nur mit den Lippen, sondern auch mit den Zähnen lacht, als wolle er sagen: gelt! dir hab ichs auch angethan, armer Abendländer; jetzt hast du die Sehnsucht nach den »Ufern des Ganges«, die dich nimmer losläßt.

Glücklicherweise kommt mein Hauswirt herein, um mich zu begrüßen, sonst wär ich, glaub ich, selbst durch die Erinnerung dem Bann verfallen und nicht von Dir losgekommen. Aber mein Hauswirt heißt Theophil Regelmann, ist wohlbestellter Procurist bei Jobst & Söhne, überdies ein Theophil nicht nur dem Namen nach, sondern ein Gläubiger, der Sonntags zur Kirche geht, und vor ihm verschwindet das ganze alte Testament. Deine Augen glitzern zwar noch aus der Ferne; aber der Schlingel bringt mir einen Teller mit Begrüßungskonfekt, um die eine Süßigkeit mit der andern zu vertreiben, und so ergreife ich die günstige Gelegenheit, eh mich die Hexe wieder beim Schopf hat, und setze den Hut auf und geh zu meinem Freund Haußmann, den ich schändlicherweise noch nicht angrüßte. Ich weiß aber schon, wenn ich heut Abend wieder heimkomme, wer auf mich paßt. Der Mensch kann halt seinem Schicksal nicht entrinnen.
Von Herzen
                Dein
                      L. P.
Grüße mir bestens Deinen Mann und mach ihm das Kreuz nicht so schwer, und gar sehr Gretchen, und sie soll nach Heidelberg gehen zu[r] Beruhigung ihrer Freunde, wozu ich mich in erster Linie rechne.


Quelle: Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.
Best.: A: Pfau - o.Nr. -
Transkription: © 1983 Dr. Reinald Ullmann


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